Rachmann, Tom
draußen
sitzen - nicht schlecht. Ich glaube, ich bin für die globale Erwärmung.« Sie beschließt,
sich den blöden Spruch endlich abzugewöhnen, er flattert ihr jedes Mal von der
Zunge, wenn irgendjemand etwas von Klima sagt. »Jedenfalls gibt's kein langweiligeres
Gesprächsthema als das Wetter. Erzähl, wie geht's dir so?«
Dünn ist er geworden, auf den
zweiten Blick. Er trägt eine malvenfarbene Krawatte, und sein Hemd, europäisch
ohne Kragenknöpfe, hängt auf den Schultern wie auf einem Kleiderbügel. Er hat
noch immer dieselbe Ausstrahlung - naiv und anschmiegsam -, und irgendwie macht
ihn das jünger.
»Du hast dich verändert«, sagt
sie.
»Ja? Na, ist doch gut. Stell
dir vor, ich wäre genau wie immer, nach all den Jahren.«
Genau wie immer: Das ist ihr
Bild von sich selbst. Mit dreiundvierzig jugendlich-frisch wie eh und je, lange
muskulöse Beine in Anzughosen, schmale Taille in schmalen Westen, glänzende
kastanienbraune Haare, nur ein paar wenige graue Strähnen. Sie ist,
unverdientermaßen, stolz auf ihr Aussehen. »Wirklich lustig, dich so wiederzusehen«,
sagt sie. »Ein bisschen wie ein Rendezvous mit einer alten Ausgabe von mir
selbst.« Sie fragt ihn nach gemeinsamen alten Freunden und nach seiner Familie
aus. Seine Mutter Ornella scheint so kalt wie eh und je zu sein. »Und liest sie
die Zeitung immer noch?«
»Hat sich seit Jahren keine
einzige Ausgabe entgehen lassen.«
»Das höre ich gern. Und
Filippo?« Das ist Darios jüngerer Bruder. »Hat inzwischen drei Kinder.«
»Drei? Wie unitalienisch«,
kommentiert sie. »Und du?«
»Nur eins.«
»Passt schon besser.«
»Einen Jungen, Massimiliano.
Gerade sechs geworden.«
»Dann ja wohl verheiratet.«
»Massi? Wir wollen damit
warten, bis er sieben ist.« Sie lächelt. »Ich meinte, du bist ja wohl
verheiratet.«
»Ja, natürlich. Und du?«
Sie liefert eine Karikatur
ihres häuslichen Lebens und macht aus Nigel einen komischen Pantoffelhelden,
eine Angewohnheit von ihr. »Abends futtert er mich meistens mit reifen
Trauben«, sagt sie. »Gehört zu seinen Dienstpflichten.«
»Scheint dir aber zu
gefallen.«
»Kommt auf die Qualität der
Trauben an. Aber halt mal - ich hab noch immer keine Ahnung, was bei dir so los
ist.«
»Mir geht's gut, im Augenblick
sogar sehr gut. Letztes Jahr hatte ich mal einen Durchhänger. Aber das ist
vorbei. Das Familienleiden.« Er meint Depressionen, sein Vater hatte daran
gelitten, und sie hatten schließlich das Aus für seine Diplomatenkarriere
bedeutet. Botschafter de Monterecchi war 1994 zusammengebrochen, genau in der
Woche, in der Kathleen Dario verlassen hatte. »Aber bei der Arbeit sind sie
sehr gut damit umgegangen«, erzählt Dario weiter. »Du kannst über Mister
Berlusconi sagen, was du willst.«
»Wie geht's deinem Vater
eigentlich?«
»Tja, traurig, er ist leider
vor ungefähr einem Jahr gestorben. Am 17. November 2005.«
»Das tut mir wirklich sehr
leid«, sagt sie. »Ich mochte Cosimo richtig gern.«
»Ich weiß. Wir alle mochten
ihn.«
»Aber dein Problem war nicht
so schlimm wie seins, oder?«
»Nein, nein. Nicht annähernd.
Und es gibt heute auch viel bessere Medikamente.«
Sie trinken und betrachten
einen Moment lang den Garten, die eingetopften Zitronenbäumchen, den dezent
sprudelnden Springbrunnen, die belaubte Böschung, die zum Park der Villa
Borghese hinaufführt.
Dann sagt Dario: »Ich hab dich
aus einem bestimmten Grund um dieses Treffen gebeten.«
»Ah, das verborgene Motiv -
versuchst du jetzt, mir ein Stück Berlusconi-Propaganda schmackhaft zu machen?«
»Nein, nein, hat nichts mit
Arbeit zu tun.«
»Aber ich will unbedingt was
hören über il
cavaliere«, sagt
sie. »Ich sterbe vor Neugier - wie ist das, für einen so tollen Kerl zu
arbeiten?«
»Er ist ein guter Mann. Du
solltest ihn nicht unterschätzen.«
»Ist das deine reine,
ungetrübte eigene Meinung? Was machst du noch mal? War das nicht Public
Relations?«
»Versuchen darf man's doch
mal, Kath. Nein, ich wollte dich um etwas anderes bitten - ich brauche deinen
Rat.«
»Schieß los.«
»Bist du eigentlich noch mit
Ruby Zaga befreundet?«
Kathleen hatte völlig
vergessen, dass Dario und Ruby sich kannten, sie hatten 1987 alle drei bei der
Zeitung volontiert, aber nur kurz. Ruby hatte Kathleen und Dario sogar
miteinander bekannt gemacht. »Ruby, die Textredakteurin?«, fragt sie zurück.
»Ich war nie mit ihr befreundet. Warum fragst du?«
»Ach, ich hab gerade ein
kleines Problem mit ihr«,
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