Rachmann, Tom
sagt er. »Ich hatte sie ewig nicht mehr gesehen, und
plötzlich, kurz nach dem Tod meines Vater, lief sie mir auf der Straße über
den Weg. Wir fanden beide, wir müssten mal was trinken gehen, ich hab ihr meine
Nummer gegeben und die Sache vergessen. Dann hat sie aber angerufen, und wir
sind ausgegangen. Es war ein ganz normaler Abend. Nichts Besonderes. Aber
seitdem ruft sie mich dauernd auf dem Handy an und legt auf.«
»Das ist merkwürdig.«
»Das geht jetzt seit Wochen.
Die hat bestimmt fünfzigmal angerufen. Meine Frau glaubt, ich hätte eine
Affäre.«
»Hast du aber nicht.«
Dario
langt in das Tellerchen mit Oliven. »Nein.«
»Hmm«,
sagt Kathleen. »Wirklich merkwürdig.«
Er lächelt sie an. »Hab ich
nicht. Ehrlich. Was soll's, vielleicht wechseln wir doch lieber das Thema.
Berlusconi - du wolltest über Berlusconi reden, stimmt's?«
»Na
gut, für jetzt bist du aus dem Schneider.«
»Was
willst du wissen über ihn?«
»Zuallererst mal, wie kann man
für so einen Kerl arbeiten? Mit seinem gelifteten Gesicht und den
transplantierten Haaren - das ist doch ein Hanswurst.«
»Für
mich nicht.«
»Ach,
komm.«
»Nicht
vergessen, Kath, ich war immer konservativ.«
»Das
erzählst du mir dauernd. Wie habe ich das eigentlich ausgehalten mit dir?«
»Warst
du denn links?«
»Natürlich«, sagt sie. »Aber
hast du nichts Besseres gefunden als Berlusconi?«
»Hast du nichts Besseres
gefunden als die Zeitung?«
»Was soll das denn heißen?«
»Nichts. Nur bitte sei so
lieb, mach mich nicht runter. Das kannst du allzu gut.«
»Ich mache dich nicht runter.«
Sie hält inne. »Was heißt überhaupt, ich kann das gut? So hast du mich in
Erinnerung?«
»Nicht in erster Linie.«
»Also, falls ich's mal gemacht
habe, tut's mir leid.«
Dario wechselt das Thema. »Bei
uns gibt's immer die wunderbarsten Präsentkörbe zu Weihnachten. In so was ist
Berlusconi unschlagbar: Torrone, Champagner, Foie gras.«
Genau deshalb ist sie hier: um
Innenansichten aus dem Leben unter Berlusconi, Europas Hofnarren, zu gewinnen.
Dario hat bestimmt amüsanten Tratsch auf Lager, etwas Gesprächsstoff für
Partys. Vielleicht steckt er ihr sogar eine Story. Einer Anekdote über diesen
Witzbold Berlusconi kann niemand widerstehen. Aber Moment, Moment - sie ist
noch nicht ganz fertig mit dem anderen Thema. »Ich hoffe, ich war damals nicht
gemein zu dir.«
»Sei nicht albern.«
»Ich werde das Gefühl nicht
los, dass es so war.«
»Du weißt, wie sehr ich dich
geliebt habe.«
Sie pickt eine Olive auf und
hält sie in der Hand. »Du bist ziemlich geradeheraus.«
»Du warst das Gute«, sagt er,
und es klingt wie falsches Englisch, dabei beherrscht er es eigentlich
fehlerfrei.
»Jetzt komme ich mir wirklich
vor wie ein Dreckstück.« Sie isst die Olive.
»Ich hab auch nicht behauptet,
dass du kein Dreckstück warst.«
Sie lacht auf. »Vorsicht -
wahrscheinlich bin ich inzwischen noch schlimmer als damals.«
»Davon gehe ich aus. Aber das
ist normal, oder? Man wird immer schlimmer, wenn man älter wird. Ich zum Beispiel
- das findest du bestimmt schockierend - hab mir einen kleinen Fehltritt
gegenüber meiner Frau erlaubt.«
»Ah, also doch?«
»Dabei war mir Untreue immer
zuwider.«
»Genau. Weiß ich noch.«
»Aber ich hatte nie ein
schlechtes Gewissen wegen dieser Sache. Hab's meiner Frau auch nicht erzählt.
Wurde dann bloß lästig - lästig dank Ruby. Sie war es, die andere Frau.«
»Du hattest eine Affäre mit
Ruby Zaga?« Kathleen zieht eine Grimasse. »Mit unserer Redaktionsnonne?«
»Ich hab nie mit ihr
geschlafen. Hab sie nur geküsst.«
»Gilt so was als Affäre?«
»Keine Ahnung. War jedenfalls
lächerlich. Ist passiert, als wir einen trinken gegangen sind. Ganz ehrlich,
ein öder Abend. Wir hatten uns über irgendwas Belangloses gestritten - ich
weiß nicht mehr, was. Aber sie war total eingeschnappt. Ich hab bezahlt, bin
rausgegangen und hab da auf sie gewartet. Dann kam sie auch raus und heulte.
Ich wollte sie irgendwie beruhigen, und plötzlich - ich weiß auch nicht, wieso
- hab ich sie einfach geküsst. Der Kuss hat sich dann eine Weile hingezogen,
das war in einer Gasse in der Gegend, wo sie wohnt, Trastevere. Ich weiß noch,
es hat nach Müll gestunken.« Er rutscht verlegen auf dem Stuhl herum.
»Jedenfalls, danach war nie wieder was. Wir hatten nie wieder Kontakt. Bis sie
ein paar Wochen später mit dieser Anruferei anfing. Wie gesagt, sie redet nie,
sie sagt kein Wort. Aber es wird
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