Rachmann, Tom
Clint
Oakley.« Sie reden sich mit vollem Namen an, wie Internatszöglinge.
»Recht so, Ed Rance. Wollte
nur sichergehen.« Er trottet höhnisch grinsend davon. »>Wieder Tote bei
Explosion Ruby bebt vor Zorn. Der Titel
war ein vierzeiliger Einspalter, und Ed Rance hatte sie angeschrien, endlich fertig
zu werden. Was soll sie jetzt machen? Nur noch ein paar Minuten bis
Redaktionsschluss, und dauernd blinkt ihr dieses »Mogadischu« dreist entgegen.
»Kann mich nicht konzentrieren.«
»Ich brauch den
Somalia-Titel«, sagt Ed Rance.
»Weiß ich!«
»Jetzt, Ruby.«
»Ist noch nicht fertig!«
»Wir haben Deadline. Gib ihn
her.«
»Bloß noch eine Minute!«
»Wenn du den nicht hinkriegst,
gib ihn her, ich setz jemand anders dran, der's kann.«
»Großer Gott!« Sie macht die
Datei zu.
»Unprofessionell«, raunzt Ed
Rance.
Kurz darauf sind die
Innenseiten fertig. Seite eins ist doppelt gegengelesen und raus. Es ist zehn
Uhr abends, Feierabend für diese Schicht, die Kollegen auf dem Sprung.
Morgen ist Silvester, ein
freier Tag für alle. Ein paar Journalisten und Techniker erörtern noch
Partypläne, die meisten machen sich davon, schön einer nach dem anderen - sie
lassen sich extra Zeit, um ja nicht gemeinsam den Fahrstuhl nach unten nehmen
zu müssen. Und bald ist der Newsroom leer bis auf Menzies, der immer noch vor
seinem Computer sitzt, und Ruby, die ihr Arbeitsgerät wieder einpackt: Kissen,
Desinfektionstücher, Antitennisarmschoner, ergonomische Tastatur samt Maus. Sie
schließt die Schublade ab und fährt sich mit nervöser Hand durch die Haare, als
wollte sie Spinnen vertreiben. »Diese Schwanzköpfe.« Die ganze Scheiße
hinschmeißen, das wird ein Fest. »Kann's gar nicht erwarten.«
Es ist dunkel, als sie sich
zur Bushaltestelle aufmacht. Zu ihrer Überraschung kommt ihr der Jungverleger
mit seinem Hund entgegen - warum geht der denn um diese Uhrzeit noch in die
Zeitung? Oliver Ott ist ein großer, pickeliger, unansehnlicher Mann, er starrt
stur nach unten auf seinen Basset Hound, der den Bürgersteig beschnüffelt.
Herr und Hund gehen direkt an Ruby vorbei - ihr eigener Verleger hat offenbar
keinen Schimmer, wer sie ist.
»Hallo?«, ruft Ruby leicht
empört, als Ott auf gleicher Höhe ist. Sie sieht hinter ihm her: »Bin ich
unsichtbar?
Haben Sie mich nicht gesehen?«
Er dreht sich kurz um. »Dreckiges Arschloch!«, brüllt sie und stürmt davon. »Das
tut gut«, beschwichtigt sie sich auf dem ganzen Weg den Corso Vittorio hinunter
bis zur Bushaltestelle. »Tut richtig gut! Mach ihn fertig!« Das werden die
Duckmäuser da jetzt bestimmt nutzen, um sie rauszuschmeißen. »Dreckige
Schwanzköpfe. Hoffentlich schmeißen die mich raus.« Kathleen war doch selig - selig, Ruby
endlich los zu sein. Deswegen müsste man fast dableiben. »Aber nur fast.«
Kathleen. »Bitch.«
Ruby und Kathleen gehörten
1987 zur selben Generation Volontäre bei der Zeitung. Ruby war eine Woche
früher da als die jüngere Kathleen, konnte ihr also den ganzen Betrieb zeigen
und sie und die Redakteure miteinander bekannt machen - und ihr eben auch Dario
de Monterecchi vorstellen, den attraktiven italienischen Volontär, in den sie
selbst sich verguckt hatte. Innerhalb von drei Monaten war Kathleen Assistentin
des Nachrichtenchefs, eingestellt von Milton Berber persönlich, der mit Ruby
noch kein einziges Wort gewechselt hatte. Nach zehn Monaten lebten Kathleen und
Dario zusammen. Innerhalb weniger Jahre gehörte Kathleen zu den Spitzenleuten
der Zeitung, eine Starreporterin, die die Karriereleiter hinaufraste und bald
den Sprung in eins der großen Blätter in Washington schaffte. Und die
schließlich Jahre später im Triumph zurückkehrte, als Boss, während Ruby - die
nie weggegangen, die immer loyal war - nur ein Stück Dreck ist. »Genauso
behandeln die mich nämlich.« Kathleen eingeschlossen. »Die Kuh.« Und falls die
Idioten sie dafür, dass sie den Verleger beschimpft hat, doch nicht feuern,
geht sie da selbst hin und kündigt, und zwar am Neujahrstag. Das wird 'ne
Genugtuung. Raus aus diesem ganzen lausigen Land. »Endlich nach Hause.«
Erst mal sitzt sie im Bus nach
Hause. Alles paradox, denn eigentlich ist sie richtig gut in ihrem Job. »Da
scheißen die doch drauf.«
Der Bus bremst, damit die
Neujahrstouristen über die Kreuzung strömen können, dann fährt er weiter, über
die Brücke und auf den Petersdom mit seiner purpurrot und gelb erleuchteten
Kuppel zu. Als er daran
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