Rachmann, Tom
Snyder mich aus Darfur angerufen hat?«
»Warum?«
»Ich sollte ihm was aus dem
Arabischen übersetzen. Hatte auch wieder ziemlich interessantes Material.«
»Und hast du?«
»Wie käme ich dazu? Übrigens
habe ich mit Kathleen geredet.«
Einen kribbelnden Augenblick
lang denkt Winston, dass Zeina sich eingeschaltet hat, um ihm den Posten doch
zu verschaffen, und er vielleicht doch bleiben muss.
Aber das war es nicht. »Ich
hab das Agenturmeldungsgehacke ja schon lange satt«, sagt sie. »Es wäre so
toll, wenn ich einfach immer mal wieder das Ohr vom Telefon kriegen und
rausgehen könnte, für eine richtige Reportage. Und wenn nur als Reporter für
die Zeitung.«
»Ich wusste nicht, dass du den
Job auch haben wolltest.«
»Doch, wollte ich.«
»Dann war es wohl noch viel
großzügiger, dass du mir so geholfen hast«, sagt Winston und hat plötzlich
Zweifel, wie sehr sie ihm wirklich geholfen hat. »Warum hast du das denn nicht
gesagt?«
»Wir waren Konkurrenten.«
»Habe ich nicht gemerkt.«
»Und, gehst du wieder nach
Minnesota, forschen?«
»Ich habe ein paar Pläne«,
sagt er vage, ohne weitere Ausführung. Er wird sich nicht vor ihr entblößen.
Außerdem hat er nicht mal einen Plan. »Weißt du«, sagt er stattdessen, »mir
wird gerade klar, dass ich mich geirrt habe: Ich bin immer davon ausgegangen,
dass Alter und Erfahrung einen wetterfester machen, robuster. Aber das stimmt
gar nicht. Das Gegenteil ist wahr.« Er sieht sie an. »Findest du auch?«
Sie antwortet nicht. Sie
durchsucht ihr Handy nach entgangenen Anrufen von Snyder.
1963. Corso Vittorio, Rom
Als Betty von der Bildfläche
verschwunden war, übernahm Leo die Kontrolle über die Zeitung und erklärte
Geltungszuwachs zu seinem obersten Ziel. Ob er damit die eigene Geltung oder
die der Zeitung meinte, war Gegenstand etlicher Diskussionen.
Leo war besessen von
»Schürzenstücken«, knalligen Aufmachern für die Aufsteller vor
Zeitungskiosken, über die man nach Leos Definition stolpern musste. Allerdings
traute er seinen eigenen Leuten derart gute Texte nicht zu, weshalb er Geschichten
von externen Schreibern ankaufte, was ihn bei niemandem in der Redaktion
beliebt machte. Das Klima wurde zusehends giftiger: Die alten Tage der
Kollegialität waren vorbei.
Die Auflage ging leicht
zurück, aber dafür, behauptete Leo, sei jetzt die Leserschaft schlicht
kultivierter geworden. Gegenüber dem. Konzernvorstand in Atlanta gelobte er
zwar stets, die Kosten zu senken, insgeheim dagegen saß er auf dem hohen Ross.
Schließlich hatte er von Charles einen Freibrief erhalten: Der hatte mal
gesagt, die Zeitung sei unantastbar.
1969 allerdings trat Charles
als Vorstandsvorsitzender zurück und Otts siebenundzwanzigjähriger Sohn Boyd
an seine Stelle. Leo schickte ihm einen Brief mit seinen Glückwünschen und
einem kurzen Hinweis, dass eine Geldspritze sehr willkommen sei - die Zeitung
könne gut ein paar neue Mitarbeiter gebrauchen. Boyd schaffe sich stattdessen
erst mal einen alten vom Hals: nämlich Leo.
Als Begründung gab er an, Leo
habe die Zeitung und ihren verstorbenen Gründer verraten. Ott senior habe seine
Familie verlassen und Tag und Nacht geschuftet, um ein Medium zu schaffen, das
der Welt dient, erklärte Boyd. Leo dagegen habe die Zeitung zu seinem
persönlichen Königreich gemacht. Boyd beschuldigte ihn sogar, er habe den
Zeitungskopf umgebaut und die Zeile »Gegründet von Cyrus Ott (1899-1960)« verkleinert,
damit da umso größer »Chefredakteur: Leopold T. Marsh« stehen konnte. Ein
Typometer schien ihm recht zu geben.
Leo trieb sich auf der Suche
nach einem Weg zurück in die internationale Presse eine Weile in verschiedenen
europäischen Hauptstädten herum. Schließlich ging er zurück in die Vereinigten
Staaten und nahm dorthin seine Angewohnheit mit, das Frühstück mit einem Cognac
zu eröffnen und immer knapp bei Kasse zu sein. Er ging nach Pittsburgh, als
Chef eines Fachblättchens der Kohleindustrie, und hatte noch Glück, so einen
Job zu kriegen.
Boyd gelobte, sich persönlich
um einen Nachfolger für den Chefredakteursposten zu kümmern, war aber viel zu
beschäftigt mit dem Rest des Ott-Imperiums. Er hatte ehrgeizige Pläne und
begann diese umzusetzen, indem er erst mal viele traditionelle
Geschäftsbereiche des Konzerns veräußerte. Sogar die Zuckerfabrik, aus der
einst alles hervorgegangen war, um in Übersee mit Investitionen spekulieren zu
können. Seine Geschäfte waren verwegen - genauso hätte
Weitere Kostenlose Bücher