Rachsucht
können?
Alles.
Wollen Sie, dass Ihre Verlobte davon erfährt? Glauben Sie, danach will sie Sie immer noch heiraten?
Nein, das können wir uns auch nicht vorstellen.
Ich fühlte mich, als hätte ich auf Alufolie gebissen.
Nicht umschalten, Kumpel. Wir sind gleich wieder da.
Das konnte nur eins bedeuten: Es war eine Drohung, und sie stand in Zusammenhang mit der Attacke auf Jesses Rechner in der Kanzlei.
Der Webbrowser schloss sich. Die Seite verschwand einfach, und der Computer fror ein. Als ich ihn wieder hochgefahren hatte und den Browser öffnete, zeigte der Verlauf keinen Hinweis auf die Site.
Ich legte mich wieder ins Bett, tat aber kein Auge zu.
6. Kapitel
Der nächste Tag begann wolkenverhangen. Jesse zog sich schweigend an. Weißes Hemd und blauer Anzug. Mit energischen Handgriffen band er sich die Krawatte. Er brachte kaum eine Tasse Kaffee herunter, während ich mir fast die ganze Kanne einverleibte.
»Schreib die Meldung Wort für Wort auf. Ich gehe damit zur Polizei«, sagte er.
Mir war eiskalt, obwohl ich den heißen Kaffeebecher umklammerte. »Was meinen die mit › alles ‹?«
»Irgendwer will mich erpressen.« Er packte den Laptop in die Tasche. »Und weißt du wer? Kenny Rudenski.«
Er blickte mit vor Empörung sprühenden Augen auf. Angesichts meiner besorgten Miene wurden seine Züge weich.
»Ev, du glaubst doch nicht wirklich, dass die was gegen mich in der Hand haben?«
»Nein.« Ich raufte mir das Haar. »Doch.«
»Was denn?«
»Sex and Drugs and Rock’n’ Roll, Baby. Du bist ein heißblütiger Kalifornier, das sagst du doch selbst.«
Er warf mir einen gequälten Blick zu und nahm meine Hand. »Ich mag kein Puritaner gewesen sein, aber ich tue grundsätzlich nichts, was illegal oder unmoralisch ist oder dick macht.« Sanft schlenkerte er meine Hand hin und her. »Ich habe weder Steroide genommen noch bei der Anwaltsprüfung
gemogelt. Und die Liebesgeschichte mit dem Zirkuspony war von der Boulevardpresse aufgebläht.«
Ich verdrehte die Augen und fühlte mich nicht mehr ganz so angespannt.
»Die wollen mich bloß einschüchtern. Ich muss unbedingt rausfinden, wie ich die Nachricht zurückverfolgen kann, damit die Polizei beim nächsten Mal zuschlagen kann.«
»Beim nächsten Mal?«
»Wenn sie mir sagen, dass ich mich aus der Sache heraushalten soll. Wart’s nur ab.« Er griff nach seinen Autoschlüsseln. »Gehen wir. Die Anklageerhebung ist in einer halben Stunde.«
Das Gericht des County war in einem weißen, festungsähnlichen Gebäude im andalusischen Stil untergebracht. Adam wartete draußen auf uns. Er trug eine Dockers-Hose und Sandalen, aber der lässige Universitätslook konnte über die Anspannung nicht hinwegtäuschen, die tiefe Falten in sein Gesicht gegraben hatte. Außerdem hatte der Vorabend deutliche Spuren hinterlassen. Er trug eine Sonnenbrille und bewegte den Kopf so wenig wie möglich.
»Ich weiß nicht, wie ich dem Kerl ins Gesicht schauen soll«, sagte er.
»Halt dich einfach an mich«, erwiderte Jesse.
Oben im Gerichtssaal nahmen wir auf den harten Bänken Platz, während Jesse im Gang saß. Er stützte die Ellbogen auf die Beine und starrte auf seine Füße. Eine Minute später schloss sich uns Chris Ramseur an, der wie immer Sakko, kariertes Hemd und Strickkrawatte trug. Ich freute mich, ihn zu sehen. Polizeibeamte waren nur selten bei der Anklageerhebung dabei, aber Ramseur hatte viel in diesen Fall investiert. Und vor allem lag ihm etwas an seinem Ausgang.
Bald öffnete sich die Tür zum Gerichtssaal, und die gefesselten Gefangenen wurden unter Bewachung hereingeführt. Eine Polonäse toter Augen und herausfordernder Blicke. Die blauen Overalls stanken nach Schweiß und aggressivem Waschmittel.
Und schließlich entdeckten wir ihn, fast am Ende der Schlange. Adam krallte sich hinter meinem Rücken an die Lehne der Bank. Jesse richtete sich kerzengerade auf. Als Brand an uns vorbeimarschierte, wanderte sein Blick hektisch durch den Raum. Er sah wütend, müde und verdreckt aus. Vor allem aber sah er aus wie ein reicher Mann.
Seine glatte Haut war sonnengebräunt. Er wirkte jünger als auf den Fotos und hätte ausgezeichnet auf das Titelbild eines Jachtmagazins gepasst.
»Schönheitsoperationen«, stellte Jesse halblaut fest.
Als der Richter seine Sache aufrief, wurden ihm die Fesseln abgenommen. Sein Anwalt war ein gewisser O’Leary, der sich immer wieder über den kahlen Schädel strich, als hoffte er, dort doch noch ein Haar zu
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