Rachsucht
denn?«, fragte ich. »Franklin Brand?«
»Das versuchen wir gerade rauszufinden. Ich sage Ihnen das, damit Sie auf der Hut sind.«
»Im Hotel hat Brand mich gefragt, ob ich zu Mickeys Handlangern gehöre«, sagte ich. »Was sind das für Leute, Detective? Der Dicke und die Dünne in dem Mercedes-Geländewagen, die meine Brieftasche geklaut haben?«
Ramseur klopfte mit seinem Stift gegen den Schreibtisch.
»Kennen Sie noch mehr Leute, die wir tunlichst meiden sollten?«, fragte ich.
»Also gut. Win Utley und Cherry Lopez. Nehmen Sie sich vor denen in Acht. Das meine ich ernst.« Er wirkte angespannt. »Brand hat Ihren Bruder getötet, Dr. Sandoval, und ist daran schuld, dass Mr. Blackburn im Rollstuhl sitzt. Und jetzt bringen Sie mir Material, das darauf hindeutet, dass er das möglicherweise vorsätzlich getan hat.«
»Das hat er«, bestätigte Adam.
»Ich will damit sagen«, fuhr Ramseur fort, »dass Brand möglicherweise gefährlicher ist, als wir dachten. Und er hat offenbar Verbindung zu Leuten, deren tägliches Geschäft die Gewalt ist.«
Ich war schon beim nächsten Punkt auf der Liste. Porno, Erpressung. » Steckt Mickey Yago hinter den Einbrüchen in Jesses Computer?«
Ramseur deutete mit dem Finger auf mich. »Passen Sie auf sich auf, Ms. Delaney. Es kann durchaus sein, dass sich Brand die Disk wiederholen will.«
»Meinen Sie, er kriegt raus, wer ich bin?«
»Diese Möglichkeit würde ich ernsthaft in Betracht ziehen.« Er wirkte sehr besorgt. »Seien Sie auf der Hut.«
Nachdem ich meine Aussage unterzeichnet hatte, trat ich in den grauen Morgen hinaus. Die weißen Mauern des Gerichtsgebäudes auf der anderen Straßenseite verschmolzen mit dem trüben Himmel. Ich fühlte mich, als hätte ich ein offenes Elektrokabel angefasst.
Jesse und Adam warteten an der Ecke. Adam fuhr sich mit der Hand durch das kurze Haar und starrte auf das Trottoir.
»Zieht Ramseur die Sache durch?«, hörte ich ihn fragen, als ich näher kam.
»Ja«, sagte Jesse, »weil ich ihm keine Ruhe lassen werde.«
Adam starrte in die Ferne. »Ich kann nicht …« Er griff nach dem Kreuz an seinem Hals. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie entsetzt ich bin …«
»Hör schon auf.«
»Dass du so schwer verletzt wurdest, weil Brand hinter Isaac her war.«
»So ist das Leben. So sind Leute wie Franklin Brand. Aber du kannst nichts dafür. Fang bloß nicht an, dir oder Isaac Vorwürfe zu machen.«
Adam war eindeutig nicht überzeugt. Nach einem kurzen Blick auf Jesse ging er davon.
»Ich setz dich zu Hause ab«, sagte Jesse. Aber das tat er nicht.
Wir fuhren schweigend dahin. Der aschfahle Himmel lastete schwer auf uns. Die Stereoanlage spielte Riding with the King. Clapton und B. B. King in einem Duell der Bluesgitarren. Der Wagen holperte über ein paar Schlaglöcher. Jesse hatte offenbar beschlossen, das Tempolimit zu ignorieren. Sein Wagen war stark motorisiert, ein Männerauto. Er war ein guter Fahrer, aber heute fuhr er zu schnell.
Ich sagte nichts. Er brauchte Gesellschaft, keine Unterhaltung. Wir fuhren auf die Berge zu, deren düsteres Massiv vor uns bis in die Wolken ragte, passierten die alte Mission und Rocky Nook Park. Über uns reckten immergrüne Eichen drohend die knorrigen Äste in den Himmel. Ich wusste, was unser Ziel war. Mission Canyon. Der Ort, den wir nie besuchten, der Schmerz, von dem wir nie sprachen.
Als wir Foothill Road überquert hatten, rissen die Wolken auf. Die Sonne ließ das Grün der Vegetation vibrieren
und den Sandstein der Berge strahlen. Der Himmel über dem La Cumbre Peak war von leuchtendem Blau. Die Straße teilte sich und kletterte an der Westflanke des Canyons empor. Nach ein paar Minuten hatten wir die letzten Häuser hinter uns gelassen. Unter uns säumten Eichen und Sykomoren ein von Felsbrocken übersätes Flussbett. Hinter dem Canyon öffnete sich ein spektakulärer Blick auf den botanischen Garten, die Stadt und das Meer. Die Wolken hingen über der Küste wie große Wollknäuel. Jesse verlangsamte das Tempo.
»Genau hier hat Isaac mich überholt. Wer zuletzt oben ist, gibt ein Bier aus, das war der Deal.«
Wir würden also ihre letzte gemeinsame Tour nachvollziehen.
»Es war ein wunderschöner Tag. Ein einzigartiger Tag. Bis hierhin hat man schon eine Meile Bergstrecke hinter sich, und wir legten uns voll ins Zeug. Isaac holte das Letzte aus sich heraus. Wie immer.«
Die Straße stieg abrupt an. Links von uns ging es steil bergauf, rechts fiel die mit hohem
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