Rachsucht
der Zeit war er bereits im Aufbaustudium gewesen.
»Wie lang lief die Sache?«, fragte ich. »Wo sind diese Fotos gemacht worden? Eine Affäre? Du hast damals in Los Angeles gewohnt, Jesse. Du bist also hundertsechzig Kilometer für eine unwichtige Affäre gefahren.«
»Evan, ich kann darüber nicht sprechen.«
Zum ersten Mal hörte ich echte Angst in seiner Stimme.
»Wie lang?«
»Ev, versteh doch bitte. Ich weiß, dass es falsch war, aber ich konnte mich nicht überwinden, es dir zu erzählen. Und je länger ich gewartet habe, desto mehr hatte ich Angst, dich zu verärgern. Ich weiß, dass ich es dir von Anfang an hätte erzählen müssen. Es tut mir leid. Es tut mir leid.«
Ich mied seinen Blick. Ich starrte nur auf den Computerbildschirm.
»Bitte schau dir das nicht mehr an. Bitte, lösch es«, flehte er.
»Noch nicht.« Ich hatte die Nachricht noch nicht mal halb gelesen. »Erpresst dich Mickey Yago damit?«
»Ja.«
»Sonst noch was? Ich kann nur hoffen, dass das alles ist. Wenn nicht, sagst du es mir besser gleich.«
Ich zwang mich, ihn anzusehen. Er war blass und in sich zusammengesunken. Ein klägliches Bild.
»Evan, Harley ist deine Freundin. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass das alles direkt vor der Hochzeit bekannt wird. Ich bin einfach in Panik geraten. Das war unglaublich dumm von mir. Bitte verzeih mir.«
Fast hätte ich ihm geglaubt, aber dann blätterte ich weiter nach unten. Die Nachricht enthielt nicht nur Fotos, sondern auch eine Kreditkartenabrechnung für Jesses Konto. Restaurants, Geschenke. In dem Sommer, in dem wir uns kennengelernt hatten.
»Du warst damals noch mit ihr zusammen? Du bist zweigleisig gefahren?«
»Nein, ich hatte mich von ihr getrennt. Das ist die Wahrheit. In dem Sommer hatte ich die Sache beendet.«
Allmählich wurden mir Dinge klar, die ich von Anfang an hätte begreifen müssen. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich das Gefühl gehabt, dass er einer Studentenliebe nachtrauerte. Das stimmte offenbar nur teilweise. Er war selbst die Studentenliebe gewesen. Als wir uns kennenlernten, hatte er sich gerade von Harley getrennt.
»Du hast dich mit mir getröstet?«
»Das stimmt nicht!«
»Triffst du dich noch mit ihr?«
»Nein.«
Ich schlug den Deckel des Laptops mit solcher Wucht zu, dass ich fast seine Hand erwischt hätte. Ich griff nach meinen Autoschlüsseln und marschierte zur Tür.
»Warte«, sagte er.
Ich beachtete ihn nicht. Die Krücken schlugen gegen den Tisch, als er aufstand. Trotzdem blieb ich nicht stehen, obwohl ich mich selbst in diesem Augenblick ein wenig dafür schämte, dass ich schneller war als er.
»Warte doch. Bitte, Evan.«
Ich öffnete die Haustür.
»Tu das nicht«, sagte er. »Das machst du immer.«
Jetzt fuhr ich herum. »Was mach ich immer?«
»Du läufst weg, wenn du wütend bist.«
»Wenn ich hierbleibe, wird dir das nicht gut bekommen, Schätzchen.«
Er hinkte auf mich zu. »Das ist mir egal. Ich liebe dich.«
»Darauf kann ich verzichten«, erwiderte ich und ging zum Auto.
Er stand in der Einfahrt und blickte mir nach, als ich mit durchdrehenden Reifen davonraste.
25. Kapitel
»Evan, gib mir eine Chance. Lass uns darüber reden.«
Ich ignorierte die Nachricht, die Jesse mir mit brüchiger Stimme auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte. Im Moment fühlte ich mich nicht zu einer vernünftigen Unterhaltung in der Lage.
Es war halb fünf morgens, und ich starrte aus dem Fenster zu Sternen hinauf, deren Namen ich nicht kannte. Ich war zutiefst verletzt, so unlogisch das auch sein mochte. Primitive Eifersucht erfüllte mich, ein verabscheuenswürdiges Gefühl. Schließlich gehörte Jesse mir ja nicht.
Ich konnte ihm kaum verübeln, dass er eine Freundin gehabt hatte, bevor er mich kennenlernte. Und trotzdem sah ich vor meinem geistigen Auge immer wieder das Foto, auf dem Harley ihn zu sich herabzog.
Sie hatte versucht, es mir zu sagen. Dieses elende Kaff. Das war für mich bestimmt gewesen. Jeder trieb es mit jedem. Nun wusste ich auch, warum sich Harley so für Jesses Träume interessierte. Sie hatte Angst, dass er im Schlaf ihren Namen erwähnte. Ich schlug die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Im Wohnzimmer schaltete ich den Fernseher ein und kauerte mich im Dunkeln auf das Sofa. Auf MTV lief eine N’Sync-Retrospektive. Um mich war es wirklich schlecht bestellt. Die Puzzleteile fügten sich zu einem höchst beunruhigenden Bild zusammen.
Wie kam Kenny Rudenski dazu, bissige Bemerkungen zu
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