Rachsucht
schmutziges Geld für eine Hackerbande waschen?«
»Was weiß ich.«
»Dann überleg mal. Was war in dem Monat vor dem Unfall? Was war in dem Sommer? Denk nach!«
»Evan, ich denke ständig über die Sache nach.«
»Aber was war in dem Sommer?«
Er schloss die Augen. »Können wir das Thema nicht einfach auf sich beruhen lassen? Ich will dich nicht nerven, aber ich bin völlig erledigt.«
Er stemmte sich hoch und ging in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen. Als ich seine mühsamen Bewegungen verfolgte, spürte ich plötzlich das dringende Bedürfnis, Yago den Spaß zu verderben. Brand hatte Jesse fast umgebracht und so schwer verletzt, dass er sich nie wieder auch nur ein Glas Wasser würde holen können, ohne genau zu planen, wie er an der Spüle das Gleichgewicht hielt. Und Yago fand das auch noch witzig.
Siedendheiß fiel mir ein, dass Yago mir vom Flughafen eine Nachricht geschickt hatte. Die geht an Sie, meine Liebe. Sie werden Ihren Spaß daran haben. Ich wandte mich wieder dem Computer zu und loggte mich in mein E-Mail-Konto ein.
Ich öffnete Yagos Nachricht. Und die Welt brach für mich zusammen.
Jesse war ganz schön umtriebig.
Die Nachricht bestand hauptsächlich aus Fotos. Ich musste nach unten scrollen, um sie mir anzuschauen. Eins nach dem anderen.
Wir haben ihn gewarnt. Wir haben ihm gesagt, er soll sich anständig benehmen. Böser Junge.
Zuerst dachte ich, es wäre ein Archivfoto, wie man sie bei Presseagenturen oder Sportzeitschriften bekommt. Jesses Gesicht war jünger, und er stand mit sonnengebräuntem Oberkörper vor Palmen und einem blauen Pool. Aber das Bild war noch nicht zu Ende.
Er lehnte immer noch an der Spüle, hatte sich aber umgedreht. »Nein!«
Nun sah ich, dass vor ihm eine Frau hockte, die es sich auf einem Liegestuhl bequem gemacht hatte. Seine Hände lagen auf ihren Schultern. Ihre Hände dagegen waren mit seiner Badehose beschäftigt, die sie ihm offensichtlich gerade auszog.
Für einen Augenblick hielt ich es für eine weitere Fälschung, wie das Bild von mir. Aber Jesse humpelte auf Krücken aus der Küche zum Computer, setzte sich neben mich und griff nach der Tastatur.
»Ev, tu das nicht.«
Ich schob seine Hand beiseite.
Der Frau saß mit dem Rücken zur Kamera. Auf den zweiten Blick war klar, dass das Foto mit einem Teleobjektiv aufgenommen war, in einem privaten Garten, wo die beiden sich unbeobachtet geglaubt hatten. Ich scrollte weiter nach unten, bis zu ihren sommersprossigen Schultern und Beinen. Das Gesicht war nicht zu erkennen, aber niemand sonst hatte solch eine silbrig glänzende Mähne.
Harley.
»Evan, bitte hör auf.«
Meine Haut brannte, und meine Perspektive hatte sich tunnelartig auf die Fotos verengt. Ich spürte seine Hand auf meinem Handgelenk. Er wollte mich daran hindern, weiter nach unten zu blättern, aber ich ließ mich nicht bremsen. Das nächste Foto war ein paar Minuten später geschossen worden und ließ keine Fragen offen.
»Ich kann das erklären«, sagte er.
»Nein, danke. Die Bilder sind selbsterklärend, glaub mir.«
»Ich wollte es dir ja sagen. Das hätte ich natürlich tun müssen.«
Ich stand auf. »Was wolltest du mir sagen? Dass Harley bisexuell ist? Dass sie sich auch beim männlichen Geschlecht ordentlich ins Zeug legt? Dass sie in jeder Hinsicht über reiche Erfahrung verfügt?«
Ich stolperte zu den Türen, die auf den zinngrauen Ozean hinausgingen. Ohnmächtige Wut packte mich, und es fiel mir schwer, die Tränen zu unterdrücken.
»Wann?«, fragte ich. »Wie lange ist das her?«
»Das war im Grundstudium.«
Nun begriff ich. Die Gerüchte, Harleys Andeutungen, selbst Kenny Rudenskis bissige Bemerkungen. Harley hatte Affären mit ihren Studenten.
Und Jesse war ihr Student gewesen.
Ich fühlte eine irrationale, aber unbezwingbare Eifersucht in mir aufsteigen. Es war ein unreifes Gefühl. Das alles war geschehen, bevor ich Jesse kennengelernt hatte. Trotzdem hätte ich Harley umbringen können. Diese Lügnerin. Seit Jahren erzählte sie mir, sie sei lesbisch. Dabei trieb sie es mit offensichtlichem Vergnügen mit Männern. Mit meinem Verlobten.
»Es war nur eine Affäre«, sagte er. »Für mich war die Sache längst erledigt.«
»Halt einfach die Klappe.«
Ich trat wieder zum Laptop und zwang mich, die Fotos genauer zu studieren. Sie waren datiert. Nicht vom Entwicklungslabor, sondern handschriftlich mit weißem Fettstift.
Mir wurde glühend heiß. »Das Datum. Das Datum stimmt nicht.«
Zu
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