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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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wir uns nun alle wieder beim Schippen vor der Haustür (die frischgefallene weiße Pracht weiß nur der richtig zu würdigen, der keine lange Garagenzufahrt hat!). Aus den sommerlichen improvisierten Kaffeestündchen am geöffneten Küchenfenster wurden offizielle (und meistens gräßlich langweilige) Einladungen zu Punsch und Partygebäck, und Abwechslungen gab es überhaupt nicht mehr. Das Leben der Siedlungsbewohner spielte sich zwangsläufig hinter verschlossenen Türen ab und bot deshalb kaum noch Gesprächsstoff. Nicht mal Babydoll hatte Mitleid mit uns. Anfang Dezember fuhr sie mit ihrem kahlköpfigen Begleiter in die Karibik. »Da sind zwei Eiswürfel im Glas das einzige Stück Winter, das ich zu sehen bekomme«, hatte sie gesagt und jedem von uns eine Ansichtskarte versprochen. Kurz nach Weihnachten trudelten sie ein. Nachdem ich ausgiebig Palmen, Meer und Sonnenuntergang betrachtet hatte, reichte ich das prächtige Farbfoto an Rolf weiter. Der warf nur einen kurzen Blick darauf. »Der billigste und in vielem auch der beste Winterkurort ist der eigene Kamin!«
    Wir hatten aber keinen! Statt knisternder Buchenscheite schaufelte ich wieder Koks in Ofens gefräßiges Maul, schleppte zentnerweise Asche zu den Mülltonnen und wartete auf den Frühling.
    Anfang Januar zog Herr Otterbach aus. Er flüchtete in die Anonymität der Großstadt, wo man seinem nicht so ganz normalen Privatleben etwas weniger Aufmerksamkeit schenken würde. Auch gut! Vielleicht bekämen wir zur Abwechslung mal richtig solide Mieter. Aber die hatten wir ja auch in der Familie Tröger vermutet, jenen Textilgroßhändlern, die nach den Schotten in das ehemalige Musterhaus gezogen waren. Eines Tages hatten sie Emma Kiepke eröffnet, daß sie nicht mehr gebraucht werde, weil man nunmehr ein Dienstmädchen eingestellt habe, und so verschwand mit Emma auch unsere Nachrichtenquelle. Das neue Mädchen war jung, hübsch und verschwiegen. Nicht mal Dorle, die fast jeden zum Reden bringen konnte, brachte mehr heraus als die Tatsache, daß der dienstbare Geist Heidi hieß, von seiner Herrschaft jedoch Jeannette gerufen wurde, weil das vornehmer klang. Und vornehm war man nun wirklich geworden! Nicht nur, daß dem Textilgroßhandel ein exklusives Modegeschäft angegliedert worden war, in dem angeblich die High-Society von Köln und Bonn ihren Bedarf deckte – nein, man stellte seinen neuerworbenen Reichtum auch sichtbar zur Schau. Der Sohn bekam ein Auto, die Tochter eine Vespa, die Gattin einen Nerz. (Kommentar von Rolf: »Ich hab’s ja schon immer gesagt! Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine Frau, die noch keinen Pelzmantel hat!«) Der Herr des Hauses stieg vom Mittelklassewagen auf einen Renommierschlitten jener Sorte um, die in der Regel nur Ölscheichs und Staatsoberhäuptern vorbehalten ist. In erster Linie schien es sich hierbei allerdings um eine räumliche Notwendigkeit zu handeln. Erfolg steigt den Menschen vielfach zu Kopf, am schlimmsten wirkt er sich aber gewöhnlich auf die Bauchpartie aus. Wir konnten direkt zusehen, wie Herr Tröger in die Breite ging, und mindestens drei Kinne rauften sich ständig um einen Platz auf seinem Kragen. Deshalb band er auch immer eine große Serviette um den Hals, sobald er sich hinter das Lenkrad gequetscht hatte. Zweifellos hätte es seiner Reputation geschadet, wenn er vor der erlauchten Kundschaft mit durchgeweichtem Hemd erschienen wäre. Von Bauer Köbes pachtete er eine Wiese, auf der sich wenig später zwei Reitpferde tummelten, und die Kinder wurden in ein näher gelegenes Internat umgeschult, damit sie nun zum Wochenende nach Hause kommen und ihre Pferde bewegen konnten.
    Da die übrigen Bewohner der Millionärssiedlung keine Millionäre waren und auch nicht den Eindruck machten, als ob sie jemals welche werden würden, verzichtete die Familie Tröger auf den Umgang mit uns Unterprivilegierten und ließ sich höchstens zu einem gemessenen Kopfnicken herab.
    Als aus den zwei Pferden sechs geworden waren und Köbes’ altersschwacher Stall den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr genügte, ließ Herr Tröger einen neuen bauen. Und weil er schon mal dabei war, wurde auch gleich ein komfortabler Bungalow am Ufer des Baggersees errichtet. Den Einzug hat der Bauherr allerdings nicht mehr erlebt.
    Bevor die gigantische Seifenblase platzte und Haus, Reitstall und Fuhrpark unter den Hammer kamen, erlitt Herr Tröger einen Herzinfarkt, starb ganz einfach und überließ es seiner Familie, sich wieder

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