Radau im Reihenhaus
Nachtleben stürzen.«
Der Form halber schmollte ich noch ein bißchen, aber meine Lebensgeister hoben sich sofort wieder, als wir das kleine exklusive Feinschmeckerlokal betraten. Ein blasiert aussehender Ober nahm uns die Mäntel ab.
»Ich komme mir vor wie Aschenbrödel«, flüsterte ich Rolf zu, nachdem ich einen flüchtigen Blick auf die kostbar gewandeten Damen geworfen hatte, die bei Kerzenschein ihre Speisen löffelten und alle sehr elegant aussahen.
»Fängst du schon wieder neuen Streit an?« zischte Rolf.
»Ich bin noch immer beim alten!« zischte ich zurück.
Er verschwand hinter der Speisekarte. Sie war sehr groß, sehr dick und erforderte die Kenntnisse eines diplomierten Dolmetschers.
»Was hältst du von dem dritten Gericht auf Seite sechs? Bouchée à la reine avec sauce hollandaise au fourn… wie heißt das?«
»Was du nicht aussprechen kannst, kannst du dir auch nicht leisten!« giftete ich. »Nimm doch etwas Einfacheres!«
Er blätterte weiter. »Weißt du noch, wie dieses italienische Zeug heißt, auf das ich so wild bin?«
»Claudia Cardinale«, sagte ich eisig.
Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden. Mein Gatte übte sich in derselben, bestellte etwas, das sich später als Eierkuchen entpuppte, im Hinblick auf den Preis aber mindestens von Hühnern mit adeligem Stammbaum stammen mußte, und verlangte die Weinkarte. Sie war noch dicker als das ledergebundene Speisenjournal.
Wer kein Weinkenner ist, lasse sich vom Kellner die Sorte aufschwatzen, die er gerade loswerden will. Auf diese Weise ist wenigstens einer zufriedengestellt. Der Wein war aber trotzdem gut; mühelos ließen sich die »Crèpes« damit hinunterspülen.
»Trink nicht so viel!« mahnte Rolf, »du weißt ja: Kein Alkohol am Steuer!«
»Wenn man scharf bremsen muß, schwappt alles über«, kicherte ich albern. »Was geht mich überhaupt die Fahrerei an? Du hast doch die Schlüssel!«
»Nein, die habe ich extra aus meiner Tasche genommen und dir gegeben, als uns der Ober die Mäntel abnehmen wollte.«
»Dann müssen sie in der Handtasche sein!« Kurzerhand kippte ich ihren Inhalt auf den Tisch, fand auch zwischen Lippenstift, Taschentuch, Büroklammern (in Notfällen vielseitig verwendbar) und Puderdose die längst verlorengeglaubte Adresse einer Schulfreundin – nur die Autoschlüssel fand ich nicht.
Rolf winkte dem Kellner. Er näherte sich gemessenen Schrittes und zog verstohlen die zusammengefaltete Rechnung aus der Jacke. »Der Herr möchte zahlen?« Anscheinend hielt er uns für Zechpreller, die gerade die Präliminarien zur leider vergessenen Brieftasche abspulten.
»Der Herr hat seine Autoschlüssel verloren«, korrigierte ich. »Sind vielleicht welche gefunden worden?«
Der Ober bedauerte. Ihm sei nichts bekannt, aber selbstverständlich werde er nachfragen.
»Lassen Sie die Rechnung ruhig hier, mir ist der Appetit ohnehin vergangen«, sagte Rolf. Kein Wunder, es war ja auch nichts mehr da.
»Und was jetzt?« fragte er wütend.
»Taxi«, murmelte ich verschlafen, denn ich war plötzlich sehr müde geworden. »Du lädst mich zu Hause ab, holst die Reserveschlüssel und läßt dich wieder zurückfahren.«
»Weißt du, was das kostet?«
»Nicht so viel wie Bouchée à la reine und die Flasche Chablis.«
»Die Herrschaften hatten Crèpe Suzette«, bemerkte der Ober konsterniert, half mir aber trotzdem in den Mantel. In der linken Tasche klapperte es. Was immer da von Liebe, Lust und Leidenschaft gefaselt wird – das höchste der Gefühle bleibt die Entdeckung, daß die Autoschlüssel doch nicht weg sind.
Die Heimfahrt verlief schweigsam. Zumindest bis zu dem Augenblick, da der Motor Keuchhusten bekam. Es handelte sich um einen akuten Anfall, der zwar vorüberging, dann aber chronisch zu werden begann. Der Motor japste nach Luft, bekam Atemnot und verröchelte. Rolf ließ den Wagen ausrollen, stieg fluchend aus, öffnete die Motorhaube und vertiefte sich in das Kabelgewirr, von dem er ohnehin nichts verstand. »Komm doch auch mal her!« verlangte er schließlich, »du hast doch erst vor ein paar Monaten den Führerschein gemacht, also mußt du doch auch noch mehr Ahnung haben als ich.«
»Ich hab’ nie welche gehabt«, sagte ich und kuschelte mich auf dem Sitz zusammen. Es würde sich wohl um einen etwas längeren Aufenthalt handeln.
»Ohne Werkzeug ist da nichts zu machen«, behauptete Rolf fachmännisch, nachdem er hier ein bißchen gedreht und dort ein bißchen geschraubt und zu
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