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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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betonte. Auf seine äußere Erscheinung schien er genausowenig Wert zu legen wie auf den Zustand seiner Behausung. Er trug Flanellhosen von unbestimmbarem Grün, ein graues Pilotenhemd und einen quittegelben Schal. Zusammen mit den roten Socken bot er einen zumindest sehr farbenfreudigen Anblick. Die nur noch spärlich vorhandenen dunkelblonden Haare waren zu kurz, die Fingernägel entschieden zu lang. Am eindrucksvollsten waren jedoch seine Augen: leuchtendblau, mit Lachfältchen in den Winkeln und umrahmt von auffallend langen Wimpern. Jede Frau hätte ihn darum beneidet.
    »Haben Sie denn schon die ganze erlauchte Einwohnerschaft vom Wiesengrund kennengelernt?« Er füllte sein fast geleertes Glas wieder auf und begann zu lachen. »Als ich dieses Haus mietete, habe ich doch tatsächlich geglaubt, ein paar aufgeschlossene, sympathische Nachbarn zu finden, deren Horizont nicht schon bei Fernsehen und Fußball endet. Und wo bin ich hingeraten? In eine Ansammlung von Tratschweibern, die tagelang herumrätseln, wie oft ich mein Hemd wechsle oder wieviel Paar Schuhe ich besitze. Vor ein paar Tagen habe ich die alte Vogt erwischt, wie sie unsere Mülltonne durchsuchte. Angeblich wollte sie nur nach ihrer verschwundenen Zeitung fahnden, aber ich wette, daß sie die leeren Flaschen gezählt hat!«
    »Könnte es nicht sein, daß sie wirklich nach der Zeitung gesucht hat?« gab ich zu bedenken.
    »Aber doch nicht bei mir! Ich würde dieses Käseblatt nicht mal auf den Lokus hängen! – Ach wo, die wollte ganz etwas anderes finden. Asiatische Aphrodisiaka oder so etwas Ähnliches – wenn sie überhaupt weiß, was das ist!«
    Brauer stärkte sich mit einem kräftigen Schluck. »Mir ist übrigens aufgefallen, daß Sie schon intensiven Kontakt mit der Familie Obermüller pflegen. Seien Sie lieber ein bißchen vorsichtig, sofern Ihnen etwas an Ihrem Renommee liegt. Der Alte ist zwar ein dämlicher Hund, aber harmlos. Seine Frau ist ein recht patenter Kerl, nur hat sie einen unausrottbaren Hang zum Klatschen, wobei Dichtung und Wahrheit ziemlich nah beieinanderliegen. Zuträger sämtlicher Neuigkeiten ist Michael. Der Bengel treibt sich überall herum und sammelt Informationen. Seine angebliche Hilfsbereitschaft ist nichts anderes als hemmungslose Neugier. Wenn er den Briefträger rechtzeitig abpassen kann, trägt er sogar hier in der Siedlung die Post für ihn aus. Sollten Sie also einen regen Schriftverkehr mit Anwälten oder ähnlich zweifelhaften Personen führen, dann mieten Sie sich lieber ein Postfach.«
    Ich beschloß einen Themawechsel. »Sie erwähnten vorhin Ihre Kinder. Wie viele sind es denn?«
    »Zwei Mädchen, Zwillinge. Eins davon ist Mengenrabatt, aber ich weiß nicht, welches. Mir ist es in fünf Jahren noch immer nicht gelungen, die beiden auseinanderzuhalten. Da fällt mir übrigens eine entzückende Geschichte ein: Wir hatten in Bengasi ein eingeborenes Hausmädchen…«
    Das Ende dieser Story habe ich nie erfahren, weil Brauer neuen Whisky holen mußte und wir die Gelegenheit zur Flucht benutzten. Er meinte zwar, wir hätten uns ja noch gar nicht richtig kennengelernt, tröstete sich dann aber mit der Hoffnung, das unterbrochene Gespräch in Kürze fortsetzen zu können.
    »Meine Familie erscheint erst am Wochenende, also komme ich in den nächsten Tagen mal rüber zu Ihnen. Den Whisky bringe ich mit!«
    »Der Mensch gefällt mir!« sagte Rolf, als wir wieder draußen standen. »Und das Gesöff war erstklassig! Hast du dir die Marke gemerkt?«
    Hatte ich nicht, und selbst wenn, dann hätte ich sie ihm nicht verraten. Es schien sich um ein hochprozentiges Produkt zu handeln, denn mein Gatte bewegte sich in Schlangenlinien vorwärts und steuerte geradewegs das Haus Nr. 3 an. »Jetzt sagen wir Frau Holle guten Tag!«
    Ich zerrte ihn seitwärts. »Wir gehen jetzt nach Hause und nicht zu Wittingers. Was sollen die von dir denken, wenn du in diesem Zustand bei ihnen aufkreuzt?«
    »Die sollen nicht denken, die sollen ihre Betten vom Balkon räumen. Man hängt seine Intimspä… seine intime Schphä… man hängt so was nicht aus dem Fenster! Das ist unmoralisch, und wir sind hier eine anschtändi… eine anständige Gegend!«
    Nur mühsam gelang es mir, meinen sehr angeheiterten Ehemann ins Haus zu bringen und im Wohnzimmer einzusperren. Hoffentlich hatte Michael nicht – aber der kam schon die Treppe herunter.
    »Hat aber ziemlich lange gedauert, und am längsten bei Brauers!« Woher wußte der Bengel…?

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