Radau im Reihenhaus
nicht.
Wir hatten gerade beschlossen, unsere Kommunikationsversuche erst einmal abzubrechen, als die Tür von Nr. 8 aufging. Ein ebenso langer wie dünner Mann schlappte barfuß die Stufen herab und kam auf uns zu.
»Hatten Sie etwa die Absicht, mich bei Ihrer Besichtigungstour auszusparen?« grinste er und fügte erklärend hinzu: »Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile und wollte Sie eigentlich warnen, bevor Sie zu den verdrehten alten Schachteln marschierten, aber dann dachte ich mir, vielleicht sehen die beiden seriöser aus als du und werden eingelassen. Sie waren aber viel zu schnell wieder auf dem Rückweg, also sind Sie vermutlich auch rausgeflogen. Bei den Heidenbekehrern haben Sie um diese Zeit kein Glück, da sind die in der Kirche. Also machen Sie jetzt erst mal hier Zwischenstation! Ich heiße übrigens Brauer.«
Er reichte uns beiden die Hand und öffnete einladend die Tür. »Kriegen Sie aber keinen Schreck. Zur Zeit bin ich Strohwitwer und völlig untalentiert für jede Art von Hausarbeit. Meine Frau ist in Hamburg und holt unsere Gören nach Hause; die hatten wir bei den Schwiegereltern abgestellt. Na ja, und in der Zwischenzeit habe ich eben
meine
Vorstellungen von Gemütlichkeit verwirklicht – ist aber wohl doch mehr ein Rückfall ins Junggesellenleben.«
Als gemütlich hätte ich das Wohnzimmer nun nicht gerade bezeichnet. Die Möbel, soweit sie unter den Stapeln von Zeitungen, Zeitschriften, Oberhemden, unter Flaschen, Büchern und überquellenden Aschenbechern überhaupt erkennbar waren, setzten sich hauptsächlich aus Bambusrohren zusammen. Das einzig kompaktere Stück in dem ganzen Raum war ein behäbiger Ohrensessel, offenbar der Lieblingsplatz des Hausherrn, denn er war als einziger nicht vollgepackt. Eins der hinteren Beine war abgebrochen und durch ein dickes Buch ersetzt worden. Bei näherem Hinsehen konnte ich auch den Titel erkennen: »Do It Yourself«.
Herr Brauer entfernte eine Packung Bircher-Müsli sowie zwei Tabakspfeifen von einem Schaukelstuhl und komplimentierte mich hinein. Suchend sah er sich um, entdeckte einen nur halb beladenen Bambussessel, feuerte einen Packen Zeitungen auf den Boden, begrüßte die darunter verborgen gewesenen knallroten Socken mit einem freudigen Aufschrei, zog sie an, warf ein Seidenkissen auf den Sitz und forderte Rolf auf, nunmehr Platz zu nehmen.
»Erzählen Sie bloß nicht dem Michael, wie es hier aussieht! Sonst weiß das morgen die ganze Siedlung und übermorgen die halbe Stadt.« Aufatmend ließ er sich in seinen Großvaterstuhl fallen. »Dieser Bengel ist geschwätzig wie ein altes Marktweib und stellt die Phantasie der gesamten Sensationspresse in den Schatten! Vermutlich hat er Ihnen schon gesagt, daß ich permanent besoffen bin, auf dem Fußboden schlafe und mit Whisky die Zähne putze.«
»Ganz so blumenreich ist seine Schilderung nicht gewesen«, beteuerte Rolf lachend, »aber er hat uns erzählt, daß Ihnen die europäische Lebensweise noch immer etwas schwerfällt.«
Brauer winkte ab. »Blödsinn! Ich arbeite lediglich an einem Forschungsauftrag, und weil ich ein Nachtmensch bin, kommt es oft genug vor, daß ich bis zum frühen Morgen am Schreibtisch sitze und dafür bis zum Mittagessen schlafe. Um nicht den ganzen Haushalt durcheinanderzubringen, kampiere ich dann im Keller auf einer alten Matratze. Das ist das ganze Geheimnis. Und was den Whisky betrifft – wahrscheinlich trinke ich wirklich mehr als die ganzen Spießer hier rundherum, aber ich kann ihn auch vertragen. Schließlich habe ich das jahrelang trainiert. Als Europäer kann man es in Libyen nur aushalten, wenn man nichts mehr klar erkennt. Trinken Sie einen mit?«
Die Antwort wartete er gar nicht erst ab. Aus irgendwelchen Tiefen förderte er drei Gläser zutage, die nicht zueinander paßten, und holte mit geübtem Griff ohne hinzusehen eine halbleere Flasche hinter seinem Sessel hervor. Während er einschenkte, sagte er entschuldigend: »Eis habe ich leider nicht. Entweder ist der Kühlschrank kaputt, oder ich habe auf den falschen Knopf gedrückt. Die Küche schwimmt, und wenn ich bloß in die Nähe des Kühlschranks komme, sprüht er Funken. In Bengasi war das kein Problem. Im Krankenhaus haben wir uns das Eis immer aus dem Leichenkeller geholt. Cheers!« Er hob das Glas und prostete uns zu. »Auf gute Nachbarschaft!«
Daran zweifelte ich nicht. Dr. Brauer gefiel mir, auch wenn er seine Vorliebe für die Boheme für meinen Geschmack ein bißchen zu sehr
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