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Radau im Reihenhaus

Radau im Reihenhaus

Titel: Radau im Reihenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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den unergründlichen Rätseln dieser Welt gehört ja die Tatsache, daß ein Autofahrer, der weiß, wie man mit Eis und Schnee fertig wird, immer hinter einem hängt, der keine Ahnung davon hat), und er haßte Omis Freundinnen, weil er ihnen in feierlichem Aufzug gegenübertreten und sie mit Handkuß begrüßen mußte. Omi wollte das so!
    Genau wie sie selber waren auch die Kränzchenschwestern mit höheren Staatsbeamten verheiratet gewesen, und da hielt man noch auf Etikette. Die Ehemänner waren samt und sonders in den Beamtenhimmel eingegangen – der letzte vor drei Jahren –, aber die Damen erfreuten sich noch bester Gesundheit und einer ebensolchen Pension.
    »Wenn Mariechen sagt, sie hat Rheuma, dann hat sie welches, und wir müssen hin!« Ich war deshalb gar nicht böse, denn Omi konnte fabelhaft kochen, und der traditionelle Gänsebraten, den ich jedes Jahr auf den Tisch bringen mußte, war noch nie ein überzeugender Beweis meiner Kochkunst gewesen. Oben war er meistens schwarz und innen roh. Das mußte irgendwie am Herd liegen.
    Also fuhren wir nach Braunschweig, bepackt mit Geschenken, die wir größtenteils wieder mit zurücknehmen müßten, und in Begleitung zweier murrender Knaben, denen meine ständigen Verhaltensmaßregeln langsam zum Halse heraushingen.
    »Wie lange müssen wir denn bleiben?« Sven liebte seine Omi zwar heiß und innig, aber ansonsten verabscheute er ältere Damen. »Die küssen immer so rum!«
    Mariechens Haus lag in einer Straße, die früher mal zu einem gutbürgerlichen Wohnviertel gehört hatte, nun aber ähnliche Alterserscheinungen zeigte wie der Großteil seiner Bewohner.
    »Und jetzt auch noch drei Treppen hoch!« Mit einer wahren Märtyrermiene griff Rolf nach den beiden Koffern und begann den Aufstieg. Beladen wie Packesel folgten wir.
    Auf unser Klingeln öffnete niemand. Mariechen war ganz offensichtlich nicht da.
    »Ich denke, sie hat Rheuma?« wunderte sich Rolf und untermalte das melodische Ding-Dong-Dang der Klingel mit weniger melodischen Faustschlägen gegen die Tür.
    »Vielleicht hat sie bloß ihren Hilfsmotor nicht eingeschaltet«, erinnerte ich ihn an Omis gelegentlich ausbrechenden Sparsamkeitstick, wenn der Batterievorrat für das Hörgerät mal wieder zur Neige ging.
    »Unsinn, sie weiß doch, daß wir kommen!«
    Plötzlich öffnete sich die Tür zur Nachbarwohnung, und eine sehr alte Dame in einem sehr jugendlichen Kleid, die grauen Kringellöckchen hellviolett getönt, strahlte uns an.
    »So ein Pech, aber Frau Direktor Sanders ist vor fünf Minuten noch schnell zum Einkaufen gegangen. Sie wird sicher bald zurück sein. Wenn Sie möchten, können Sie gerne bei mir warten.« Einladend gab sie den Weg frei. »Ach, und das sind die beiden reizenden Enkel! Nein, wie groß ihr schon seid? Aber ganz unverkennbar der Vater!«
    Das stimmte nun ganz und gar nicht! Außer seinem Dickkopf haben sie nichts von Rolf geerbt!
    Weil er nicht wußte, ob die Frau Obermedizinalrat Steinbrink (das blankgeputzte Messingschild neben der Klingel hatte ihm Namen und Titel des sicher auch schon selig Verstorbenen verraten) ebenfalls zu Omis Freundinnen gehörte, begrüßte er sie vorsichtshalber mit Handkuß (und mußte später erfahren, daß das nicht nötig gewesen wäre, weil Frau Steinbrink nur in die höheren Kreise eingeheiratet, lediglich einen einfachen Schreinermeister zum Vater gehabt hatte und nicht mal Bridge spielen konnte, wie uns Omi kopfschüttelnd verriet). Auch Sven benahm sich mustergültig, wohl hauptsächlich deshalb, weil er nicht abgeküßt worden war, und lediglich Sascha blamierte mal wieder die Innung, als er sich interessiert erkundigte: »Hast du immer so bunte Haare?«
    Frau Obermedizinalrat überhörte die Frage, aber bevor Sascha nachstoßen konnte, kam Omi und erlöste uns.
    Mariechen Sanders war eine kleine zierliche Person mit dem Porzellangesicht einer Teepuppe und einer Vorliebe für Pastelltöne. Heute trug sie Zyklam Größe 36, Lippenstift und Nagellack eine Spur heller.
    »Noch jugendlicher darf sie jetzt aber nicht mehr werden«, sagte Rolf leise, und dann, etwas lauter: »Was macht dein Rheuma?«
    »Das ist wie weggeblasen!« Zum Beweis schwenkte sie Sascha in die Luft und gab ihm einen herzhaften Kuß.
    »Nich immer so naß!« protestierte ihr Enkel.
    Bereits am Nachmittag kam – rein zufällig natürlich – Frau Himmelhan vorbei, weil sie gerade auf dem Weg zum Friedhof gewesen war und der lieben Marie-Luise eine Kostprobe der

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