Radegunde von Thueringen
zurück. „Ich kann nicht mit dem Mann zusammenleben, der mein eigen Fleisch und Blut abschlachten ließ!“
„Begreifst du nicht, ich kann als König nicht zulassen, dass die eroberten Gebiete wieder vom Frankenreich abfallen!“
„Du begreifst scheinbar nicht! Ich habe ihn geliebt! Er war mein Bruder!“ Ihre Stimme zitterte vor Wut.
„Pah! Bruder! Was ist das schon? Ein gefährlicher Konkurrent, mehr nicht. Sieh dir meine Brüder an! Sie taugen alle nichts.“
„Das ist deine Moral, einfach und brutal! Wer nicht in deine Welt hineinpasst, wird getötet.“
Er wollte etwas entgegnen, doch sie schnitt ihm das Wort ab. „Viel zu lange habe ich tatenlos zugesehen. Wie viel Blut klebt an deinen Händen? Selbst die unschuldigen Kinder deines Bruders hast du erschlagen. Dein Herz kennt keine Liebe, es ist erfüllt von Hass!“
Er hob die Hände. „Ich handle nur als König meines Volkes, ich bewahre ihm sein Reich. Nur so kann es in Frieden leben.“
„Du erhältst deinem Volk den Frieden, indem du es in Kriege führst! Das ist absurd! Und hast du nicht auch den letzten König der Thüringer auf dem Gewissen?“
Chlothar starrte sie verständnislos an.
„Meinen Oheim Herminafrid! Wer stieß ihn von der Mauer in Zülpich?“
Medardus in der Sakristei schlug erneut ein Kreuz.
„Woher weißt du davon?“
„Alles kommt einmal ans Tageslicht! Und ab heute werde ich Buße tun für all die furchtbaren Dinge, die ich nicht verhindert habe.“
Sie wandte sich ab und schritt zurück zum Altar.
Chlothar hieb wortlos mit der Faust durch die Luft und verließ die Kathedrale. Draußen schwang er sich auf sein Pferd und ritt an. Seine Begleiter hatten Mühe, ihm zu folgen. Vor der Kirchentür blieb eine große, reich verzierte Truhe voller Schmuck und Kleider zurück.
3. Buch: Die Nonne
Es kämpft der Knospen Blütenpracht im Raume,
das Auge schwimmt in Farben, halb im Traume
siegt über Weihrauch frische Frühlingssaat.
Doch euch, die mit dem Zauber ihr im Bunde,
dir, Agnes, und dir, hohe Radegunde,
weht Gottes Gnadenatem nah und spat!
(Venantius Fortunatus: Blumen am Altar)
Mein lieber Amalafrid,
die Tinte fließt umso unwilliger aus der Feder, je weniger ich glaube, dass deine Augen jemals über diese Zeilen eilen werden. Hat mich unsere vom Schicksal verdammte Liebe all die Jahre gequält, so glaube ich, jetzt frei von den Banden des weltlichen Lebens zu sein. Auch von allen anderen Mühsalen habe ich mich losgesagt, ich bin nicht mehr Chlothars Frau. Er ließ meinen Bruder erschlagen, ihn, den ich aufs zärtlichste liebte! Ich tauschte meine königlichen Kleider gegen die einer Nonne, um mit allem Eifer und ganzer Seele Gott zu dienen.
Wie schnell sind sie dahingeschrieben und wie schwer wiegen diese Sätze, doch noch immer bin ich Königin der Franken, dieser Verantwortung kann ich mich nicht entziehen. Sie drückt mich umso tiefer, da sich zur selben Zeit mein Vaterland erhebt gegen das Volk, dessen Königin ich bin. Ich bete, mein Lieber, ich bete für beide Völker, denn wen soll ich bevorzugen in meinem Herzen?
Ich bin fortgegangen aus Soisson. Nach zielloser Reise zog es mich schließlich zum Königshof in Saix, zu lange schon hatten meine Hände im Schoß gelegen. Hier finde ich genug Arbeit, um Buße zu tun für meine Sünden. Ich schöpfe Kraft aus meiner Arbeit, versuche Liebe zu geben, um selbst sie zu finden.
Radegunde
Saix, 556
Ein kalter Windstoß fuhr in die Schriftrollen, die vor Radegunde gelegen hatten und die nun durcheinanderwirbelten. Sie breitete erschrocken die Arme aus und versuchte, möglichst viele gleichzeitig zu erwischen und am Wegfliegen zu hindern.
„Schließt die Tür, aber schnell!“, rief sie über ihre Schulter.
„Jawohl, Herrin!“, antwortete eine heisere Stimme, die sie zunächst nicht einzuordnen wusste. Ärgerlich drehte sie sich um, in jeder Hand etliche Schriftrollen.
„Was …?“ Fast hätte sie die Rollen jetzt doch fallen gelassen. „Giso! Du lebst!“
„Warum denn nicht? Ich bin noch nicht alt genug für den letzten Weg!“ Lachend bückte er sich und sammelte die restlichen Rollen vom Boden auf. „Wie ich sehe, hast du genug zu tun. Auf mein Klopfen hast du nicht reagiert.“
„Ich war in Gedanken. Doch für dich habe ich immer Zeit! Setz dich!“ Sie legte die Rollen auf dem Tisch ab, beschwerte sie mit einem kleinen Brett und lief zur Tür. „Du hast gewiss Hunger und Durst, nicht wahr?“
„Einen Krug warmes Bier würde ich nicht
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