Radegunde von Thueringen
abschlagen!“
Sie rief eine Anweisung in den Gang hinaus. Dann rückte sie sich den Stuhl zurecht.
Giso betrachtete sie verstohlen. Sie war schmal geworden, ihre Wangenknochen traten hervor, ihre Nase wirkte spitzer. Doch war sie noch immer eine schöne Frau, daran änderte auch die Nonnentracht nichts. Im Gegenteil. Er fand, ihre ebenmäßigen Gesichtszüge kamen jetzt noch besser zur Geltung als in den kostbaren Kleidern, in denen er sie kannte. Genau genommen sah sie jetzt königlicher aus als jemals zuvor.
Er räusperte sich, als er ihren fragenden Blick bemerkte. „Ich komme aus Thüringen, wo ich in Bertafrids Auftrag den Fortgang der Aufstände beobachten sollte.“ Seine Stimme war heiser, jetzt verdunkelte sie sich noch weiter. „Als ich vorige Woche nach Soisson zurückkehrte, war nichts mehr, wie ich es kannte.“
Eine junge Frau brachte einen Krug mit schäumendem Bier. Giso trank in langen Zügen. Atemlos setzte er ab und fuhr sich mit dem Ärmel über den Mund. Seine Augen glänzten verräterisch.
„Bertafrid tot. Du abgereist. Viele von unseren Leuten aus dem geheimen Bund sind verschwunden, einige sind nach Thüringen geflohen, andere hat Chlothar hinrichten lassen. Mit Müh und Not entwischte ich seinen Spionen. Es gelang mir gerade noch, mit Salomé zu reden, die mich zu Medardus schickte. Der wiederum wusste zum Glück, wo ich dich finden kann.“
Radegunde lächelte glücklich. „Und jetzt bist du tatsächlich hier. Doch sag – was gibt es in Thüringen?“
Er grinste wie ein kleiner Junge und strich sich durch sein widerspenstiges, feuchtes Haar. Erstaunt entdeckte sie einige graue Strähnen zwischen seinen Fingern. „Chlothar ist mit seinem Heer auf dem Rückzug, sein Ausflug um den Jahreswechsel ist ihm nicht gut bekommen. Soviel ich gehört habe, wollte er eine friedliche Lösung mit den Thüringer Anführern aushandeln. Die Leute erzählen sich, diese neuen Züge seien auf deinen Einfluss zurückzuführen! Doch seine Krieger meuterten. Sie wollten plündern und nicht ohne Beute nach Hause ziehen. Schließlich musste er nachgeben. Genutzt hat es ihnen nichts, die unseren haben tapfer und entschlossen gekämpft. Chlothars Soldaten schleichen blutig geschlagen durch den Schneematsch nach Hause.“
Sie betrachtete nachdenklich den blank gescheuerten Fußboden ihrer Schreibstube und schüttelte den Kopf. Chlothar hatte versucht, friedliche Verhandlungen zu führen! Das war nicht der König, den sie kannte.
„Wer befehligt die Aufständischen?“
„Die beiden Söhne des Schwertträgers Iring.“
Sie nickte. Iring selbst hatte die letzte große Schlacht der Thüringer angeführt, als Herminafrid mit seiner Familie bereits auf der Flucht war.
„Und wie ist es dir nach deiner Flucht ergangen? Salomé hat mir erzählt, wovon sie wusste. Ich soll dich herzlichst grüßen, es geht ihr gut, den Kindern auch.“
„Dann weißt du sicher von meiner Entscheidung, Chlothar zu verlassen. Ich habe hier in Saix die Leitung der Frauenzuflucht übernommen und habe sie in ein Kloster und ein Hospital mit Armenspeisung umgewandelt. Es wurde Zeit, dass ein frischer Wind in diese alten Mauern fuhr.“
„Ja, den habe ich erlebt. Der pustete mir deine Pergamente entgegen, als ich hereinkam.“
Sie lachte und seufzte gleich darauf. „Es ist so viel zu ordnen und zu registrieren, dass ich darüber verzweifle. Den Schreiber musste ich fortschicken, er war faul und stellte den Frauen nach. Jetzt ordne ich alles selbst. Stell dir vor, ich habe sogar Reliquien des heiligen Andreas bekommen für unsere Kapelle!“
Giso nickte pflichtschuldig. Mit dem Heiligenkult der Christen konnte er nichts anfangen.
Eine vorwitzige Haarsträhne lugte unter ihrem Schleier hervor. Sie schob sie mit einer unbewussten Handbewegung zurück. „Was wirst du jetzt tun?“
„Ich würde gern nach Thüringen zurückkehren. Ich möchte dabei sein, wenn das Land wieder aufblüht, wenn unsere Leute am Amboss stehen und gute Waffen schmieden oder kunstvollen Schmuck fertigen. Wenn sie die Ernte ihrer Felder selbst verwerten dürfen und ihre Schweine nicht mehr den Franken zutreiben müssen.“
„Ich beneide dich darum. Natürlich musst du zurückgehen, dorthin, wo deine Wurzeln sind. Ich werde dir ein Schreiben ausstellen, das dich als freien Mann ausweist.“ Sie lächelte wehmütig und die tief stehende Wintersonne beleuchtete feine Fältchen um ihren Mund und ihre Augen.
„Warum kommst du nicht mit? Irings Söhne
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