Radegunde von Thueringen
wert!“
„Nimm es für deine Kinder. Du weißt nicht, was einmal sein wird, wenn du Chlothars Gunst verlierst!“ Sie zog die zarte Frau an sich. „Und ob ich dir dann noch helfen kann, ist sehr ungewiss. Lebe wohl!“
Ohne sich noch einmal umzusehen, lief sie davon.
Im Stall suchten sie sich zwei Stuten aus, die sie auch früher schon geritten hatten. Die Tiere waren kräftig, schnell und doch folgsam. Der Stallknecht half ihnen beim Aufsatteln.
Radegunde steckte ihm einen Solidus zu. „Du hast uns nicht gesehen, hörst du?“
Der junge Mann nickte, gab ihr jedoch die Münze zurück. „Den brauche ich nicht, Herrin. Mein Vater kam mit Euch aus Thüringen.“
Trotz ihrer tief ins Gesicht gezogenen Schleier erkannten einige die beiden Frauen, die Soisson mit der sinkenden Sonne gen Norden verließen. Manch leise gemurmelter Segenswunsch begleitete sie. Als Chlothar später nach ihnen forschen ließ, wollte jedoch niemand zwei Reiterinnen gesehen haben.
Sie ritten im scharfen Galopp, wobei sie die tiefrote Sonne leicht links liegen ließen.
Es war der Weg nach Athies, den sie in den letzten Jahren so häufig eingeschlagen hatten, dass die Pferde ihn beinahe von selbst fanden. Als die Dunkelheit ein gefahrloses Weiterkommen unmöglich machte, suchten sie sich einen Schober. Sie fesselten den Stuten die Beine locker, so dass sie grasen konnten, ohne wegzulaufen. Dann wickelten sie sich in ihre Umhänge und krochen ins Heu.
„Was willst du in Athies?“, fragte Agnes nach einer Weile. „Früher oder später wird er dich dort finden!“
„Wir gehen nicht nach Athies. Wir reiten nur bis Noyon.“
„Zu Medardus?“
„Ja, er wird uns helfen.“
„Aber was kann er schon tun? Auch er muss Chlothar gehorchen.“
„Er wird meine Ehe mit diesem Teufel auflösen!“ Es tat gut, endlich auszusprechen, was die ganze Zeit in ihr gebrodelt hatte. „Damit entfällt sein rechtlicher Anspruch auf Thüringen. Das ist das Letzte, was ich für meine Heimat noch tun kann!“
„Deine Ehe auflösen? Traust du Medardus nicht ein bisschen viel zu?“ Agnes nagte zweifelnd an ihrer Unterlippe.
„Er wird es tun!“ Verzweiflung schwang in ihrer Stimme, die ihre bestimmten Worte Lügen strafte. Es war der einzige Ausweg, den sie sah. Wenn der verstellt war, dann … Ja, was dann?
Mit dem ersten Morgengrauen brachen sie auf. Keine von beiden hatte ein Auge zugetan. Stattdessen hatten sie Erinnerungen an Bertafrid ausgetauscht und eng umschlungen ihren Tränen endlich freien Lauf gelassen.
Eine Stunde später ging die Sonne auf und warf ihre Strahlen auf das erwachende Noyon. Verwunderte Blicke streiften die beiden Frauen, die zu einer solch ungewöhnlichen Tageszeit ankamen. Doch niemand erkannte Radegunde in ihren einfachen Kleidern. Sie beneidete die Mägde, die mit Melkeimern in der Hand ihrem friedlichen Tagwerk nachgingen. Wie gern hätte sie mit dem halbwüchsigen Mädchen getauscht, das die Gänse zum Hüten abholte. Oder mit der älteren Frau, die neben ihrer Hütte hockte und über einem Korb, der sich zwischen ihren Knien befand, Bohnen läufelte.
Hütten und Häuser drängten sich um die Kathedrale im Zentrum von Noyon. Hier musste Medardus zu finden sein, denn die Morgenmesse sollte bald beginnen. Tatsächlich war er in der Sakristei mit der Heiligen Schrift beschäftigt. Als er ihre Schritte hörte, fuhr er erschrocken herum.
„Radegunde? Was ist passiert?“
In knappen Worten berichtete sie, was sich in den letzten beiden Tagen ereignet hatte. Medardus unterbrach sie nicht, sondern schüttelte nur ab und zu besorgt den Kopf.
„Der Herr sei mit Euch, und auch mit dir, Agnes. Was habt Ihr jetzt vor?“
„Ich möchte in den Schoß der Mutter Kirche aufgenommen werden!“ Ihre Stimme war rau nach der durchwachten Nacht, doch klang sie fest und bestimmt.
Medardus zog die Stirn in Falten. „Wie stellt Ihr Euch das vor?“ Er schüttelte erneut den Kopf. „Ihr seid eine verheiratete Frau und Ihr seid Königin! Das legt man doch nicht einfach ab wie einen alten Mantel!“
„Nein, aber ich kann einen neuen Mantel über den alten ziehen!“ Sie hob die Arme. „Ich bitte Euch, weiht mich zur Nonne! Ich möchte mich zurückziehen aus diesem Leben, das nicht für mich geschaffen scheint.“
„Herrin, ich bitte Euch. Überdenkt diesen Einfall! Betet in Demut, tut Buße! Der Herr wird Euch erhören!“ Seine Augenbrauen fuhren nach oben und er rang die Hände. „Was soll aus Euren Kindern werden in
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