Radieschen von unten
schlau wurde sie aus Elfie und deren extremem Gerechtigkeitsempfinden nicht. Andererseits verkörperte Elfie den Inbegriff der netten älteren Dame, und Alex hatte ihr viel zu verdanken. Nein, sie wollte überhaupt nicht daran denken, dass Elfie einen Menschen umgebracht haben könnte. Aber mit ihr sprechen musste sie auf jeden Fall noch einmal.
Vielleicht war Elfie heute auch auf dem Friedhof. Da hätte das Gespräch einen weniger offiziellen Charakter, und siekönnte sich auch gleich nach den Pflanzen für das Grab erkundigen. Alex stand auf und löste die Hundeleine von der Bank.
»Komm, Amadeus. Wir besuchen Ludwig.«
Auf dem Weg zum älteren Teil des Waldfriedhofs dachte Alex über Elfie und Ludwig nach. Obwohl dieser schon seit 30 Jahren tot war, bezeichnete Elfie ihn immer noch als ihren Verlobten, ihre große Liebe und sprach stets in der Gegenwart von ihm. Solch unverbrüchliche Treue gab es heute nur noch selten. Wie sie selbst wohl in 30 Jahren von Hubert sprechen würde?
Alex entdeckte Elfie auf der Bank neben Ludwigs Grab. Sie las laut aus ihrem Gedichtbüchlein. Als sie Alex bemerkte, stand sie auf und kam ihr ein paar Schritte entgegen.
»Was für eine nette Überraschung«, sagte sie und schien ehrlich erfreut zu sein.
Doch dann fiel ihr Blick auf Amadeus. Sofort eilte sie zur Bank zurück, packte ihr Buch in die Tasche und zog den Reißverschluss fest zu.
»Sicher ist sicher«, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln.
Alex musste grinsen, als sie daran zurückdachte, wie Amadeus sich einmal ein heruntergefallenes Buch von Elfie geschnappt hatte und es nicht mehr hergeben wollte. Nur mit einer Praline hatte er sich dazu überreden lassen, es wieder herauszurücken. Hinterher waren Bissspuren auf dem bordeauxroten Einband gewesen, was Alex ungeheuer peinlich war. Und Elfie schien sehr an diesem abgegriffenen Buch mit dem schwarzen Kreuz auf dem Umschlag zu hängen. Sie hatte es an sich gedrückt wie einen verloren geglaubten Schatz und irgendetwas von einer persönlichen Bibel gemurmelt.
»Keine Angst«, sagte Alex laut. »Ich passe schon auf, dass sich Amadeus nicht wieder an fremdem Eigentum vergreift. Wozu bin ich schließlich bei der Polizei? Da fällt mir ein: Haben Sie für das ramponierte Buch eigentlich einen neuen Umschlag bekommen, oder haben Sie ein anderes gekauft? Dann erstatte ich Ihnen natürlich die Kosten.«
»Nein, das ist nicht nötig«, wehrte Elfie hastig ab und fuhr nach einer Pause zögernd fort: »Das Buch ist nicht zu ersetzen. Außerdem benutze ich es nicht mehr. Machen Sie sich darum also keine Gedanken. – Wie steht es eigentlich mit dem Grab Ihrer Eltern? Haben Sie schon etwas verändert?«
»Nein, noch nicht. Aber ich möchte das jetzt angehen. Deswegen wollte ich mit Ihnen sprechen. Ich kann mich nämlich nicht mehr erinnern, welche Pflanzen Sie mir empfohlen haben.«
»Ach, meine Liebe.« Elfie zog Alex auf die Bank neben sich. »Da gibt es viele schöne Möglichkeiten. Am besten gehen wir einmal zusammen in die Gärtnerei. Dann zeige ich Ihnen, was in Frage kommt, und Sie suchen sich etwas nach Ihrem Geschmack aus. Aber jetzt erzählen Sie erst einmal, wie es Ihnen geht. Machen Ihnen die Schwiegertante und Ihr Chef immer noch das Leben schwer?«
»Nein, und das habe ich Ihnen zu verdanken. Sie haben mir damals den Rücken gestärkt und mich ermutigt, mir nicht mehr alles gefallen zu lassen. Da habe ich mich endlich getraut und meinen Chef gebeten, mich nicht mehr mit Prinzessin, Gräfin oder anderen Adelstiteln anzureden. Seither gibt er sich reichlich Mühe. Und Tante Lydia ist seinerzeit Hals über Kopf ausgezogen, nachdem ich sie in dem Glauben gelassen habe, dass ich fast ihren kleinen Liebling überfahren hätte.«
Alex tätschelte Amadeus den Kopf.
»Das haben Sie gut gemacht.« Elfie strahlte über das ganze Gesicht. »Ich bin richtig stolz auf Sie. – Aber warum haben Sie dann immer noch den Hund im Schlepptau?«
»Lydia ist auf Kreuzfahrt, für über vier Monate. Eigentlich sollte sich Hubert um Amadeus kümmern. Aber seine Kollegin ist plötzlich allergisch auf Hundehaare. Deswegen kann er ihn nicht mehr mit in die Uni nehmen.«
»Aber heute ist doch Samstag. Muss Ihr Freund da auch arbeiten?«
»Heute schon. Das Wetter soll ja bald umschlagen. Da muss der Mais vorher geerntet werden.«
Elfie sah Alex verständnislos an. »Ich dachte, Ihr Freund ist Zoologe und beschäftigt sich mit Regenwürmern. Ist er jetzt unter die
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