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Radikal führen

Radikal führen

Titel: Radikal führen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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Institution gibt, die die oft beobachtbare Entscheidungshemmung überwindet, dann müssen wir fragen: Was ist überhaupt eine Entscheidung? Und was unterscheidet sie von einer Wahl? Entscheidung und Wahl liegen begrifflich nahe beisammen, die Alltagspraxis unterscheidet sie kaum. Ihre Nähe ist so groß, dass die Wahl sich sogar wie eine Anwendung der Entscheidung ausnimmt. Das zu verstehen scheint mir keine überflüssige Gelehrsamkeit, sondern praxisrelevant.
    Wenn Sie eine Wahl treffen, dann verfolgen Sie einen Wert, den Sie anderen Werten vorziehen (zum Beispiel nur im Inland zu produzieren). Oder Sie haben ein transparentes Bild von einer erwartbaren Zukunft vor Augen und kalkulieren entsprechend Wahrscheinlichkeiten. Sie haben jedenfalls gute Gründe für Ihre Wahl. Das heißt: Die Bewertung der beiden Seiten einer Alternative ist asymmetrisch, eine Seite wiegt schwerer – wenn vielleicht auch nur wenig.
    Um eine Entscheidung davon abzuheben, stellen Sie sich bitte vor, Sie stehen vor einer Weggabelung. Es geht nur rechts herum oder links herum, und die jeweiligen Wege verlieren sich schnell hinter einer Biegung. Sie können nicht wissen, wohin welcher Weg Sie führt. Die Bewertung der beiden Seiten der Unterscheidung ist nun symmetrisch, beide Seiten wiegen exakt gleich viel. Dann, und nur dann, können wir im strengen Sinnvon einer Entscheidung sprechen. Also in einer Situation, die zuerst vom Philosophen Jean-Paul Sartre entwickelt wurde (und nicht – wie im systemtheoretischen Schrifttum immer behauptet – auf den Kybernetiker Heinz von Foerster zurückgeht): wenn in einer prinzipiell unentscheidbaren Situation entschieden werden soll. Wenn in einer Welt voller Alternativen gleichwertige Argumente für oder gegen ein Handeln sprechen. Wenn fünf Ihrer Mitarbeiter sagen »Rechts herum!«, und diese gute Gründe dafür haben. Und fünf andere Mitarbeiter sagen »Links herum!«, und auch sie haben gute Gründe. Wenn Sie für jedes Gutachten ein Gegengutachten finden. Das ist die Pointe: Bei einer Entscheidung fehlen Gründe, sich für oder gegen eine Alternative zu entscheiden. Oder aber es gibt viele Gründe, die gleich verteilt sind. Oder die Zukunft ist völlig unkalkulierbar (wie zum Beispiel die Finanzmärkte zur Zeit der Schulden-Euro-Krise). Entscheidungen sind genau dann nötig, wenn sie unmöglich sind – unmöglich im Sinne von »schlüssig zu begründen«. Sie könnten auch eine Münze werfen oder einen Strohhalm ziehen. Es ist gerade das Fehlen der Begründung, die uns zur Entscheidung drängt.
    Eine Entscheidung weiß also nicht, wie ihr Ergebnis aussieht. Gäbe es keinen Zweifel angesichts von Handlungsalternativen, bräuchten Sie nur den besten Effekt zu berechnen und wüssten damit schon, was Sie zu tun hätten. Die Lösung des Problems fiele Ihnen wie eine reife Frucht in die Hände. Das wäre eine Wahl. Eine Entscheidung ist keine Rechenaufgabe. Sondern ein Springen durch die Flammenwand des Zweifels. Nur wenn es unklar ist, wohin die Reise geht, dann ist eine Entscheidung fällig. Mithin ist jede Wahl eine Entscheidung; aber nicht jede Entscheidung ist eine Wahl. Entscheidung ist der größere Begriff.
    Vielfach werden Manager aufgefordert, auch mal »riskante« Entscheidungen zu treffen. Das ist gut gemeint, aber Unfug. Entscheidungen sind immer riskant – sonst wären sie keine. Und wenn Henry Kissinger im Rückblick auf sein Berufsleben sagt, »die schwierigsten Entscheidungen waren jene von 50,5 Prozentzu 49,5 Prozent«, dann sagt er etwas Falsches und Richtiges zugleich. Etwas Falsches: Er meint eigentlich eine »Wahl«. Etwas Richtiges: Selbst entscheidungsstarke Menschen tun sich schwer, Konsequenzen zu wählen, die unklar und eintrittsunsicher sind. Aber eine Entscheidung ist eben nur fällig, wenn Sie gar nicht wissen, was erfolgswahrscheinlich ist.
    Dieser Zustand ist keineswegs theoretischer Natur. Sie erreichen ihn mühelos, wenn Sie sich bei Experten oder im Internet Entscheidungshilfe holen wollen. Dann verlieren Sie sich schnell in den Untiefen des Pro und Contra und wissen bald noch viel weniger, was Sie tun sollen. Und Sie beweisen einmal mehr die Tatsache, dass Entscheidungen durch Informationen nicht leichter fallen, sondern schwerer. Genauer: dass die Wahl sich zur Entscheidung verschiebt.
    Und Entscheidungen dieser Art nehmen zu: So hat Ekkehard Schulz von ThyssenKrupp seinerzeit die Milliarden-Investitionen für Stahlwerke in den USA und Brasilien sicher nicht

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