Radikal führen
man kann sie auch unentschieden lassen. Zweitens: Zielkonflikte haben (zumeist) die Grundstruktur des Entweder-oder, Wertkonflikte haben (zumeist) die Grundstruktur des Mehr-oderweniger. Beispiele für Wertkonflikte: Sie sollen als Führungskraft Ihren Mitarbeitern vertrauen und sie gleichzeitig kontrollieren; Sie sollen Kosten senken und möglichst schnell produzieren, und die Qualität darf nicht leiden. Sie sollen zielorientiert handeln und ergebnisoffen sein – für die Bewältigung solcher Widersprüche werden Sie bezahlt.
Hinter Zielkonflikten stehen oft Wertkonflikte (wie am Beispiel des Straßenbahnfahrers illustriert). Oder sie haben welche zur Folge. So mag man sich geeinigt haben auf das Ziel, »das Überleben des Unternehmens langfristig zu sichern«, doch damit ist noch lange nicht entschieden, auf welche Weise das geschehen soll. Und hier werden oft sehr unterschiedliche Wertorientierungen artikuliert. Der eine mag sich dafür in Krisenzeiten von Mitarbeitern trennen, der andere will mit Blick auf dasselbe Ziel genau das vermeiden. Und falls Sie entschieden haben, sich von Mitarbeitern zu trennen – nach welchen Kriterien entscheiden Sie das? Der eine bevorzugt soziale Kriterien, ein zweiter Leistungskriterien, ein dritter will einfach die zuletzt Gekommenen opfern. Für das gemeinsame Ziel der Überlebenssicherung mag der eine die (in einigen Ländern) übliche Korruption mitmachen, ein anderer ist strikt dagegen. Und was genau ist Korruption? Auch schon die strukturell verankerte Korruption, zum Beispiel das Verbonifizieren von Verkäuferleistungen?
Institution
Auf die Wahrscheinlichkeit von Konflikten reagieren die Unternehmen mit dem Prozess des Organisierens. Dadurch werden viele potenzielle Konflikte vorentschieden – man muss nicht permanent zum Beispiel darüber diskutieren, wer für eine Aufgabe zuständig ist oder bis zu welcher Summe Sie Investitionen entscheiden können. Das hat zweifellos Effizienzvorteile. Aber die Welt dreht sich schnell – zu schnell für manche Unternehmen. Immer mehr geraten sie in Situationen, wo frühere Festlegungen nicht mehr funktionieren, wo das eine getan, das andere aber nicht gelassen werden darf, wo Policies der Dynamik der Märkte nicht mehr gerecht werden. Was ich am Beispiel der »Werte-Diskussion« verdeutlichen will.
Auf Prinzipien verzichten
Es gibt Unternehmen, die haben mehr Kultur als der Normalmensch in seinem Kulturbeutel. Sie haben Teamkultur, Leistungskultur, Veränderungskultur, Konfliktkultur, Förderungskultur und Führungskultur. Vor allem aber haben sie »Werte«. Aber sie haben sie nicht nur, sie verkünden sie auch. »Codes of Conduct« gehören mittlerweile zum guten Ton, Kongresse zum Thema boomen, sogar Wert-Berater hat der Ethikmarkt erzeugt. Sie wissen: Mit nichts kann man so viel Geld verdienen wie mit Moral. Vor allem in Deutschland, wo man zwar weniger moralisch ist, dafür aber immer moralisierend. Der Zeitgeist schreibt hier die Agenda, man glaubt fest an eine wert(e)volle Zukunft.
Da ist zum Beispiel ein Unternehmen, fast 150 Jahre alt, familiengeführt. Es wächst und gedeiht, wird international, überschreitet die Umsatz-Milliarde, man fühlt sich bestimmten Traditionen verpflichtet. Viel Vertrauen ist im Spiel, der kurze Weg, der Dialog. Omnipräsent ist der Spruch: »Lieber mal um Verzeihung bitten als ständig um Erlaubnis fragen.« Eines Tages glaubt man, die zentrifugalen Tendenzen nicht mehr im Griff zu haben. Man setzt sich zusammen, um einen Wertekanon aufzustellen, der die Erfolgsfaktoren der Vergangenheit auch für die Zukunft sichern soll. Also selektiert man bestimmte Werte, und nun stehen sie da, schwarz auf weiß. Zehn Werte, nicht einmal unoriginell.
Und plötzlich ist der Teufel los. Wo früher jeder schnell entschied und trittsicher handelte, ist jetzt alles unklar. Nun ist jede Situation von vornherein eindeutig positiv oder negativ besetzt, jedes mögliche Handeln von vornherein gut oder böse, richtig oder falsch markiert. Nun wird infrage gestellt, ob eine Entscheidung mit diesem oder jenem Wert vereinbar sei; in Meetings hält jemand den Werte-Zettel hoch und reklamiert einen klaren Verstoß; man trifft sich in Workshops, um kleinzuarbeiten, was dieser oder jener Wert denn operativ eigentlich bedeute. Wertvolle Zeit wird nun in Aktivitäten investiert, die das Unternehmen beim Kunden keinen Meter weiterbringen. Was ist da passiert?
Man kann Unternehmen beschreiben als Kommunikation von
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