Radikal führen
sich als Nukleartechniker versteht, der muss in Zeiten des gesellschaftlichen Klimawandels seine Fähigkeiten in anderen Technologien einsetzen (oder auswandern). Es geht nicht darum, etwas zu werden, sondern etwas zu erwerben. Vom anderen her gedacht ist daher unsere berufliche Situation immer prekär. Wir sind allenfalls das, was uns unsere Tauschpartner zu sein erlauben.
Es ist unsicher, ob diese Position im korporatistischen Meinungsklima Deutschlands zustimmungsfähig ist. Sicher bin ich mir hingegen, dass die sehr deutsche Frage »Was ist er?« mit der Antworterwartung eines bestimmten »Berufs« die Energierichtung gleichsam umdrehen will: Alles läuft »auf-mich-zu«! Der andere ist dafür da, mich zu bestätigen, mich anzuerkennen, mir abzukaufen, was ich im Angebot habe. Dann will man sich vom Tauschpartner unabhängig machen, dann will man Wahlmöglichkeiten einengen, dann will man Märkte umgehen, dann will man Demokratie aushebeln. Kein Zweifel: Die Tatsache, dass das »Auf-den-anderen-zu« verloren gegangen ist, hat zu jener ignoranten, atomistischen und rücksichtslosen Atmosphäre beigetragen, für die die Arroganz der parteipolitischen Parallelgesellschaft sowie die Gehaltsexzesse gewisser Topmanager nur die sichtbare Spitze bilden.
Risikomündigkeit und Selbstvertrauen
Die Deutschen sind Panik-Weltmeister. Angestachelt werden sie darin von Verbraucherschützern, Politikern und einer alarmistischen Presse. Da kann man noch so sehr darauf verweisen, dass statistisch die Wahrscheinlichkeit, durch die eigene Waffe zu sterben, in der westlichen Welt weit höher ist, als von einem Kriminellen erschossen zu werden. Gerade der Staat ist mit seiner Regelungswut und seinen überbordenden Verbraucher-Belehrungspflichten Teil jener Wachstumsindustrie, die nichts anderes verkauft als Angst. Viele Informationspflichten der Unternehmen gegenüber dem Kunden sind derart überhöht, dass man dem Kunden vor Vertragsabschluss gleich sagen könnte: »Ich betrüge Sie – überlegen Sie sich gut, ob Sie daswirklich wollen.« Entsprechend fürchten die Deutschen sich vor den falschen Dingen und können ein Risiko nicht von einem manifesten Schaden unterscheiden. Menschen, die täglich besinnungslos Fett und Alkohol in sich hineinstopfen, werden hysterisch bei Rinderwahn, Vogel- oder Schweinegrippe, Pestiziden im Gemüse oder Dioxin-Eiern. Die »German Angst«, weltweit bekannt, blockiert den Verstand. Dabei ist es erstaunlich, wie statistisch extrem unwahrscheinliche Risiken gefürchtet werden, aber die Menschen bedenkenlos Auto fahren, auf Haushaltsleitern klettern oder gefährliche Bergtouren unternehmen. Manche heiraten sogar.
Fühlen Sie als Führungskraft sich ängstlich, erleben Sie den anderen als Risiko, dann versuchen Sie, seine Handlungen vorhersehbar zu machen und die Enttäuschungswahrscheinlichkeit zu minimieren. Der angstgeöffnete Weitwinkel sucht dann das Heil in der Kontrolle. Sie überziehen Ihre Umwelt mit einem Netz an Sicherungsaktivitäten, führen Reporting-Systeme ein und monitoren alles und jeden. Ihr Ideal heißt dann: »Alles im Griff!« Und die Bürokratie wuchert. Angst ist das trojanische Pferd der Transaktionskosten.
Energische Schritte in die Richtung einer Vertrauenskultur gehören – wie oben beschrieben – zur systemischen Kernaufgabe der Führung. Aber wer geht sie? Wer ist bereit, die Kontrollsysteme angemessen, überlegt und differenziert zurückzufahren? Nur Menschen mit einem ausgeprägten Selbstvertrauen. Fragen Sie sich selbst: Haben Sie die Fähigkeit, sich dem Fremden, dem Unvertrauten zu stellen? Zu vertrauen, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gibt? Fühlen Sie sich innerlich sicher? Sie müssen sich als denjenigen kennen, der auch bei Überraschungen gelassen bleibt. Sie benötigen die Fähigkeit, mit dem Unerwarteten umzugehen und zu tun, was eine ungeplante Situation erfordert. Wenn etwas nicht klappt, behalten Sie die Fassung, denn Sie verfügen über ein verlässliches Vertrauen in Ihre eigenen Fähigkeiten. Sie wissen, dass Sie auch im Falle eines Vertrauensbruchs mit der Situation fertig werden.
Den souveränen Umgang mit dem anderen auf der Grundlage von Vertrauen nenne ich »Risikomündigkeit«. Sie hat nichts mit blindem Vertrauen zu tun, sondern weiß, dass Menschen sich oft unverantwortlich verhalten. Sie weiß um das Risiko, das Vertrauen stets mit sich bringt. Sie hat die Illusion hinter sich gelassen, »alles im Griff« haben und die Umwelt
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