Radikal führen
leichtfertig entschieden. Es wurde dennoch ein Desaster und Schulz zum Abschied genötigt.
Entscheidungszwang ist also die Existenzvoraussetzung für Führung. Und die Notwendigkeit der Entscheidung überschreitet immer die Möglichkeit der Erkenntnis – wie wir von Immanuel Kant gelernt haben. Wir entscheiden immer in Situationen unvollständiger Information. Abermals: Sonst wäre es keine Entscheidung. Sonst könnte man auch einen Computer zum CEO machen.
Wir dürfen bezweifeln, ob die meisten Führungskräfte wussten, dass sie sich für eine dilemmatische Existenzform entschieden haben, als sie erstmals Führungskraft wurden. Aber für einige Manager kam es dann doch dicker als für andere. Zum Beispiel für Auto-Manager. Bis zum Boom ab 2010 eilten sie von einer unklaren Marktsituation zur nächsten, sollten alternative Antriebe entwickeln, mit Wettbewerbern bei der extrem teuren Motorenentwicklung kooperieren, genau diesen Wettbewerbern auf gesättigten Märkten Kunden abjagen und dabei die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe auf Jahrzehnte hinaus erahnen. Ein hartes Training im Hellsehen. Oder für Energie-Manager: Welcher Energieträger wird in dreißig Jahren den Markt bestimmen? Sind es Offshore-Anlagen auf den Weltmeeren? Sind es Sonnenkollektoren in den Wüstenregionen? Oder sind es nach wie vor Erdöl, Kohle und Erdgas? Was macht dabei eine hasardierende Politik, die auf kurzfristige Wahlerfolge schielt? Als Manager stehen Sie gleichsam vor einer Milchglasscheibe, durch die die Zukunft nur sehr vage erkennbar ist; ein, zwei Konsequenzen sind vielleicht noch antizipierbar, alles Weitere verliert sich im Dunklen. Niemand kann es wissen – und gerade deshalb müssen Manager entscheiden.
In der Praxis versucht man zuerst zu »rechnen«, Wahrscheinlichkeiten zu wägen, eine relative Sicherheit zu bekommen. Natürlich stützen sich auch Entscheidungen auf Sedimente der Erfahrung, basieren große Kapitalinvestitionen auf Kennzahlen, muss ein Mindestmaß an fundiertem Realitätsbezug vorliegen. Doch auch mit den Zahlen treffen Sie schlussendlich eine Bauchentscheidung. Zumindest müssen Sie ja Ihrem Gefühl vertrauen, ob die Zahlen verlässlich sind. Oder sie verlässlich gemacht haben. So wie es der ehemalige VW-Chef Hahn einst bekundete: »Wenn ich etwas nicht will, dann lass ich es rechnen.«
Das zweckrationale Verständnis der Unternehmensführung hat den »Entscheider-Mythos« unterstützt, nach dem die Organisation ein Instrument sei, das in den Händen einiger weniger Manager für ein beliebiges Ziel modelliert werden kann. Aber schon 1954 betonte Peter Drucker, dass es eine Fiktion sei, unternehmerisches Handeln zu einer Rechenaufgabe zu machen, die die Störung, das Auf und Ab des Wirtschaftslebens abblenden will. Statische Entscheidungstheorien, die von fixen Zielen, Mitteln und Wegen ausgehen, sind unter wechselnden Umweltbedingungen invalide. Mit der Realität hat der Entscheider-Mythos wenig zu tun. Noch nie waren Manager Spezialisten für Rationalität, sie »spielen« vielmehr diese Rolle für die Öffentlichkeit. Und das müssen sie auch. Ideologiekritik ist da völlig verfehlt. Was sie dabei brauchen, sind Fortune und die berühmte glückliche Hand, ohne die auch der Fähigste scheitert. Wenn Entscheidungen anstehen, könnten Sie also auch Karten legen oder zum Astrologen gehen. Oder einfach Glück haben.
»Richtige« Entscheidungen
Ein guter Manager, was ist das? Bringen wir die Alltagsintuition auf eine kurze Formel, dann heißt das: Er trifft die richtigen Entscheidungen. Darin zeigt sich sein Genie (wie auch sein Versagen). Richtig entscheiden ist also wichtig für Führungskräfte. Um die Schwierigkeit von Entscheidungen zu meistern, folgt man gemeinhin einem fast technokratischen Prozess: von der Situationsanalyse über die Alternativstellung, bis zum Ausschluss anderer Lösungsoptionen, zur Entscheidung selbst und schließlich zu deren Vermittlung im Unternehmen. Das alles ist ebenso korrekt wie »alte Schule«.
Aber gibt es überhaupt so etwas wie »richtige« Entscheidungen? Stellen Sie sich vor, Sie haben sich als Manager eines Handelshauses gegen das Russland-Geschäft entschieden und sehen, wie andere Handelshäuser in Russland erfolgreich unterwegs sind. War es dann eine falsche Entscheidung? So hat ein viele Jahre extrem erfolgreiches Handelsunternehmen lange gezögert, sich auf den Online-Handel einzulassen, hat gerechnet und gerechnet. Man wusste: Earlybirds sind selten
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