Radikal führen
Entweder-oder und des Mehroder-weniger umgehen.
Wer sich auf die Suche nach der dritten Alternative macht, der muss zunächst das zugrunde liegende Dilemma tiefer verstehen. Er muss herausfinden: Worum geht es wirklich bei diesem Dilemma? Nehmen wir als Beispiel die Frage »Sollen wir den Einkauf zentralisieren oder dezentralisieren?« Beide Alternativen zielen darauf, die Beschaffungskosten zu senken. Die zentralisierende Vorgehensweise nutzt dabei Preisvorteile, die dezentralisierende Vorgehensweise geringere Dispositions-, Abwicklungs- und Überwachungskosten. Wenn wir aber die Frage so wie oben formulieren, dann ist das schon zu sehr von möglichen Lösungen her gedacht. Im Kern geht es nämlich um eine andere Frage: »Wollen wir große und billige Bestelleinheiten oder kleine und flexible?« Schon allein dieses vertiefte Verstehen des Dilemmas hilft, dessen Personifizierung zu vermeiden und es sachlich anzuschauen. In einem nächsten Schritt kann man dann nach Gemeinsamkeiten der beiden Seiten des Dilemmas suchen. Um beim Beispiel zu bleiben: Kann man den Einkauf dezentralisieren, ohne die Bestelleinheiten zu verkleinern? Ja, man kann: zum Beispiel durch die Einführung eines computergestützten Poolings der dezentralen Bestellungen. Gegenfrage: Kann man den Einkauf zentralisieren, ohne die Bestelleinheiten zu vergrößern? Ja, man kann: zum Beispiel durch den Abschluss von Rahmenverträgen mit den Lieferanten über Gesamtmengen, die aber in beliebigen Einheiten abgerufen werden können. Auch diese Alternativen sind ein Ausweg aus dem Dilemma, sollten bewertet und gegebenenfalls in Handlungen umgesetzt werden.
In der Regel aber läuft Entscheiden auf den Ausschluss von Alternativen hinaus. Dann gilt: »You can’t have the cake and eat it too« – wer sich für das eine entscheidet, muss auf das andere komplett verzichten. In diesen Fällen heißt Entscheiden immer auch: sich schuldig machen. Jede Entscheidung diskriminiert eine Handlungsalternative, die von anderen Menschen vorgezogen worden wäre. Sie erzeugt also potenziell immer Widerstand. Es gibt keine Entscheidung ohne Widerstand. Groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass einige Ihrer Mitarbeiter andere Wege favorisieren, anders entschieden hätten, andere Werte bevorzugt hätten. Ohne die Bereitschaft zur Schuld ist Handeln nicht möglich. Deshalb erzeugt die Entscheidung eines Konflikts immer neue Konflikte – man hat sich gleichsam »geschieden« von jenen, deren Interessen man hintanstellte. Wer unschuldig bleiben will, wer dem Widerstand ausweicht, bleibt schwach.
In Tests schließen Manager traditionell besonders schlecht ab, wenn es um Umgang mit Unsicherheit geht. Viele Führungskräfte sind Schönwetterkapitäne, die nie wirklich aktiv führen, nie wirklich bei Gegenwind segeln. Als Bonbononkel sind sie prima, wenn es etwas zu verteilen gibt. In schwerer See aber sind sie Fehlbesetzungen. Wenn Klarheit und Konsequenz gefragt sind, wenn Entscheidungen gefällt werden müssen, wenn es riskant wird, dann gehen sie in Deckung. Oder, um im Bild zu bleiben, gehen dann »auf Tauchstation« – was der Selbstabschaffung als Führungskraft gleichkommt.
Die innere Haltung, die bei Zielkonflikten hilfreich ist, ist die Gelassenheit des Seemanns. Er will die Welle der Veränderung reiten, statt sich von ihr begraben zu lassen. Er ist wach und entspannt zugleich, weiß um die Unterschiedlichkeit der Interessen, dass die Dinge anders als geplant laufen können, ja werden, dass Zielerreichung selten gradlinig gelingt, dass Ursache-Wirkung-Unterstellungen oft naiv und vereinfachend sind, dass er nicht alles vorab regeln kann, sondern die Probleme aus der Situation heraus lösen wird. »Richtig« und »falsch« sind für ihn ungeeignete Kategorien, er bevorzugt »angemessen« und »nützlich«. Er weiß, dass man für Entscheidungen verprügelt wird – je nach Tribünenplatz von der einen oder anderen Seite. Denn Entscheiden heißt: Gegner produzieren. Wer als Führungskraft geliebt werden will, entscheidet nicht. Was auch eine Entscheidung ist. Ihre Folge jedoch: unklare, widersprüchliche Aufgaben, ungelöste Konflikte, Scheinlösungen, Ineffizienzen.
Führungsstärke – das ist Entscheidungsstärke, Mut, Zuversicht. Heute mehr denn je. Die innere Haltung »Es wird schon gut gehen!« Und wenn nicht, können wir es korrigieren. Wir können anders entscheiden. Sicher nicht auf demselben Niveau wie zuvor, aber doch so, dass es besser wird: Die Software
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