Radikal führen
wahrgenommen. Ihr impliziter Aufruf lautet: »Bleibe dennoch bei mir!« Weil Sie als Anbieter keine Qualität liefern, müssen Sie den Kunden irgendwie nötigen. Unerkannterweise zerstören daher diese Programme das Bemühen der Mitarbeiter; sie entlasten sie von der täglichen Mühe um Kunden. Zudem verunmöglichen solche Programme die Selbstbindung des Kunden, seinen Stolz, der aus der freien Entscheidung kommt. Werden die Fluggesellschaften dafür geliebt, dass sie die Vielflieger zu irrationalen Entscheidungen nötigen?
Statt Lächeloffensiven zu starten, sollten Sie also besser alles unterlassen, was die gewinnorientierte Befriedigung von Kundenbedürfnissen behindert. Die entsprechenden Strukturen können Sie so befragen:
Welche Bedingungen zerstören das Bewusstsein, für den Kunden zu arbeiten?
Wie muss unser Unternehmen gebaut sein, damit sich kundenfreundliches Verhalten gleichsam von selber ergibt?
Unter welchen Bedingungen würde sich die Wertschätzung unserer Kunden ganz von selbst einstellen?
Was lässt uns vergessen, dass der Kunde unser Gehalt bezahlt?
Welche Organisationsformen verhindern Kundenorientierung?
Und: Was tragen wir als Management dazu bei?
Zusammengefasst: Da sich unsere Welt immer schneller verändert und wir alle vom Kunden abhängen, von den Märkten, sollten Sie in der Wirtschaft nicht wie Moralphilosophen argumentieren – breitbeinig stehen Sie besser. Das gilt auch – wiederum – für die Moral selbst. Wenn der Kunde erwartet, dass Sie irgendwelche Werte öffentlich plakatieren und sich dazu bekennen (wie hoch auch immer der Gebrauchswert dieser Demonstrativmoral sein mag), dann sollten Sie das tun. Aber glauben Sie bitte nicht, Sie hätten bei den Kunden einen Missionsauftrag. Und nutzen Sie besser die positive Kraft des negativen Denkens. Schreiben Sie also auf, was Sie nicht wollen. Was Sie ausschließen. Nur das ist konkret, nur das gibt Orientierung, nur das hat Klarheit und Kraft.
Individuum
Führen – die Kunst des Als-ob
Wir wissen nicht, wie die Zukunft aussieht, und dennoch müssen wir so tun, als ob wir es wüssten. So investieren wir vielleicht in eine private Ausbildung, können aber nicht sichersein, ob genau diese Ausbildung auch gebraucht wird, wenn wir sie abgeschlossen haben. Oder wir entwickeln ein Produkt, können aber nicht sicher sein, ob dieses Produkt zum Zeitpunkt seiner Markteinführung noch einen Bedarf deckt. Wir müssen uns »aufs Spiel setzen«, um auf Märkten zu überleben.
Ist man kein völlig durchgeknallter Kontrollfreak, dann muss man zugeben: Gerade die Mischung aus Planung und Überraschung ist das Medium der Führung. Auch auf dem Spielfeld »Wirtschaft« läuft nichts automatisch. Zwar ist Wirtschaft kein Glücksspiel, da rollt keine Kugel. Aber es kann auch nichts eindeutig vorausberechnet oder detailliert geplant werden. Zu viele Unwägbarkeiten sind zu berücksichtigen. Planbarkeit und Vorhersehbarkeit sind Illusionen, deshalb können Entscheidungen auch immer nur Improvisationen sein.
Jeder Praktiker weiß, dass Wirtschaftlichkeitsrechnung, Kosten-Nutzen-Analyse und Investitionsplanung fiktional sind. Aber es sind keine Fiktionen des Vortäuschens, sondern des Gelten-als (Günther Ortmann): Die Wirtschaftlichkeitsrechnung gilt als gesicherte Realität. Deshalb tun wir so, als ließe es sich ausrechnen, und nennen es dann Entscheidung. Durch die Entscheidung fabrizieren wir ein Als-ob: Lasst uns so handeln, als ob wir wüssten, worauf wir uns verlassen können. Stefan Kühl hat von den »afrikanischen Regentänzen« im Unternehmen gesprochen; da kommt ja auch kein Regen – aber tanzen muss man! Die Kunst ist es, zynismusfrei mitzutanzen. Und dabei anzuerkennen, dass Unternehmen nicht ausschließlich Veranstaltungen betriebswirtschaftlicher Rationalität sind. Nicht sich und andere abzuwerten, sondern diese Tänze als Spielelemente zu begreifen, die der Organisation als Organisation geschuldet sind.
Wir Menschen tun in der Regel so, als ob die Art, wie wir leben (allein oder zu zweit, mit Kindern oder ohne) der eigene Entschluss gewesen sei, ein Plan. In Wirklichkeit haben wir wohl nachträglich beschlossen, genau das geplant zu haben, was eingetroffen ist. Rückblickend behandeln wir Entscheidungen, als seien sie sinnvoll (oder unsinnig) gewesen. Im Handeln selbst können wir es nicht wissen – oder es wäre eben keine Entscheidung. »Strategie« nennt man hinterher, was sich zuvor aus Zufall ereignet hat. Was nicht
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