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Radikal führen

Radikal führen

Titel: Radikal führen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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erlangen. Nur das Akzeptieren und Integrieren von scheinbar Gegensätzlichem (und doch einander Ergänzendem) – wie Stabilität und Wandel, Gegenwart und Zukunft – kann Menschen reifen lassen. Das Radikale liegt hier im Ausgleich.
Verhalten im Konfliktfall
    Entscheidungen des Managements haben in Unternehmen eine bedeutsame soziale Dimension. Ich möchte hier an eine Studie erinnern, die für die Unternehmensführung nahezu ikonografische Bedeutung hat. Der große alte Mann der Organisationspsychologie, Edgar H. Schein, hat sie Mitte der 80er Jahre veröffentlicht. Darin stellt er die Frage: »Was prägt die Arbeitsmoral?« Seine Antwort ist dreiteilig; sie lautet: Es ist das konkrete Verhalten der wertsetzenden Person im Konfliktfall, das die Mitarbeiter hoch sensibel wahrnehmen und zu einer Spielregel verallgemeinern. Daran orientieren sich alle.
    Betrachten wir die drei Schritte näher.
    Erstens: Das konkrete Verhalten entscheidet. Nicht das, was auf Hochglanzpapier steht. Nicht die »vision« oder »mission«, die als unternehmenskulturelle Sättigungsbeilage einen gewissen Unterhaltungswert hat, selten mehr. Nicht das, was jemand sagt. Sondern was jemand tut. Und das schließt auch ein: was jemand nicht tut. Was ist ihm unwichtig? Was lässt ihn kalt? Was zählt für ihn nicht zur »Leistung«? Wenn wir etwas positiv definieren und damit engführen, dann sagen wir gleichzeitig, was wir darunter nicht verstehen. Übernehmen wir für diese Ausschließungen auch Verantwortung?
    Zweitens: Das Verhalten der wertsetzenden Person. Wer ist das? Natürlich der Vorstandsvorsitzende, Geschäftsführer oder Inhaber. In jedem Mikrokosmos ist das aber auch jede einzelne Führungskraft. Die wertsetzende Person für Ihren Verantwortungsbereich sind also Sie! Denn Menschen arbeiten streng genommen nicht in Unternehmen. Sie arbeiten in Nachbarschaften. Und die sind räumlich definiert, aber auch personell durch Kollegen und vor allem die direkte Führungskraft. Um Ihr Verhalten geht es also.
    Drittens: im Konfliktfall. Nicht, wenn die Sonne scheint. Sondern bei schwerem Wetter. Wenn der Fehler passiert ist. Wenn Ziele nicht erreicht werden. Wenn Sie kritisiert werden (oh nein, heute wird man nicht mehr kritisiert, heute kriegt man ein »negatives Feedback«). Wie reagieren Sie? Ihr Verhalten in diesen Situationen wird von den Mitarbeitern genauestens erfasst und zur Richtlinie generalisiert. Es ist dann im Verhalten Ihrer Mitarbeiter gleichsam »eingepreist«. Zum Beispiel bei Fehlern: Reagieren Sie handelnd, oder klagen Sie an? Wenn Sie anklagend reagieren, können Sie sicher sein, dass dem Mitarbeiter kein Fehler mehr passiert (er macht aber auch sonst nichts mehr). Oder bei der Kritik. Rechtfertigen Sie sich? Gehen Sie gar zum Gegenangriff über? Oder sagen Sie: »Danke für Ihre Ehrlichkeit!«? So, wie Sie in dieser Situation reagieren, entscheiden Sie über das Maß an Offenheit des Mitarbeiters in konfliktären Situationen. Und damit über das Maß, mit dem Ihre Mitarbeiter Ihren Entscheidungen vertrauen.
Entscheiden mit der Sherlock-Holmes-Regel
    Wie aber im Zielkonflikt entscheiden? Wie im Wertkonflikt priorisieren? Wie balancieren? Als Prinzip schlage ich vor: Entscheiden Sie sich gegen die in akzeptabelste Balance. Wählen Sie die Option mit weniger oder geringeren Schwierigkeiten – sie verdient es, angenommen zu werden.
    Der Weg des kleinsten Übels ist ökonomisch hilfreich. Er findet seine Entsprechung in der Sherlock-Holmes-Regel. Sie lautet: »Was übrig bleibt, wenn man das Unmögliche (die gleichzeitige Maximierung widersprüchlicher Werte zum Beispiel) eliminiert hat – das muss die Wahrheit sein, wie unbrauchbar sie auch immer sein mag.« Jene Entscheidung sollte getroffen werden, die im Vergleich zu ihren Alternativen mit weniger oder geringeren Schwierigkeiten verbunden ist. Zumindest als Übergangslösung – bis sich etwas Besseres bietet. Die Beachtung der Werte-Balance muss demnach nicht zwangsläufig zu guter Unternehmensführung führen. Aber sie hilft, schlechte Unternehmensführung zu vermeiden.
    Für die Praxis des Managements will ich zusammenfassend festhalten: Die Bewertung sich widersprechender Ziele und Werte gehorcht nicht der Kategorie von »richtig« oder »falsch«. Stattdessen ist es eine Frage von »angemessen« und »unangemessen«. Die Praxis des Entscheidens im Konfliktfall lässt sich daher auch nicht an Systeme, Instrumente oder Softwareprogramme abtreten. Nur das

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