Radikal führen
kann überarbeitet oder ausgetauscht werden, die Fertigungstiefe kann nach schlechten Erfahrungen korrigiert werden, das Auslandsengagement zurückgenommen werden. Wer Entscheidungen als subjektive Verhaltensdisposition versteht, die sich nicht anpasst, sondern die Welt gestaltet, der spricht nicht mehr von »richtigen« oder »falschen« Entscheidungen. Er spricht nur noch von »Entscheidungen«. Die zu treffen und für eine gewisse Spanne stabil zu halten ist schon schwer genug in turbulenten Zeiten.
Das wird nicht gehen ohne die innere Unabhängigkeit des Selbstvertrauens. Wer »everybody’s darling« sein will, der kann gar nicht aus eigener Kraft entscheiden. Er muss sich absichern. Das Wuchern der Bürokratie ist der präzise Hinweis auf mutlose Führung.
Toleranz für Mehrdeutigkeiten
Manager stehen (nicht erst seit heute) im Zentrum widerstreitender Ansprüche. Kritische Kunden, dividendenhungrige Aktionäre, sensible und schwankende Banken vertreten ganz unterschiedliche Interessen, denen Sie unmöglich allen gleichzeitig gerecht werden können. Auch sind die Bedürfnisse des Mitarbeiters mit den Interessen des Unternehmens nicht immer leicht in Einklang zu bringen. Die unterschiedlichen Erwartungen sind prinzipiell nicht einlösbar, sondern nur ausgleichbar. Das führt zu Enttäuschungen. Die muss man schlicht aushalten.
Es galt schon immer als gebildet und mental gesund, eine gewisse Spannweite von Unvereinbarkeiten auszuhalten. Einfacher ausgedrückt: nicht zu einseitig zu sein. Denn Bildung galt ja nur den Ungebildeten als Waffenarsenal, den Gebildeten aber als Erfahrungshorizont. Je breiter der war, als desto gebildeter galt man. Mit vielen und widersprüchlichen Informationen umzugehen, das erfordert Toleranz für Mehrdeutigkeiten. Es erfordert, sich emotional nicht zu sehr mit den Spannungen zu belasten, die den Dingen gleichsam eingebaut sind. Führung lebt in diesen Widersprüchen, weiß, dass beide Alternativen unverzichtbar sind, muss täglich eine neues Gleichgewicht finden, täglich wählen, welche Alternative sie in dieser Situation vorzieht.
Der niederländische Professor für interkulturelles Management Geert Hofstede fand heraus, dass deutsche Manager bemerkenswert wenig Toleranz für Mehrdeutigkeit besitzen. Sie haben eine Präferenz für das Entweder-oder, Schwarz-oder-Weiß, Alles-oder-nichts: »Wenn das eine richtig ist, muss das andere falsch sein.« In Situationen, die nicht »berechenbar« sind, neigen Menschen mit geringer Toleranz für Mehrdeutigkeiten zu Stresssymptomen und einer linearen Denkweise. Meist wird die Alternative durch ein Regelsystem ausgeschaltet, um so wieder Ordnung und Struktur herzustellen. Wer nur einen Hammer hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.
Kluge Manager hingegen (von »weisen« mag ich gar nicht sprechen) wissen um die Mehrdeutigkeit ihres Tuns, die Widersprüchlichkeit. Sie haben eine Fähigkeit, die die Wissenschaft »Ambiguitäts-Toleranz« nennt. Und heute sind sie nötiger denn je, die Artisten des Ungefähr – Führungskräfte, die wissen, dass beide Seiten einer Wertpolarität ihre Gültigkeit haben. Die mal so, mal so vorgehen und differenziert entscheiden. Denen man das »Raus aus den Prinzipien – rein in die Widersprüchlichkeit« auch zumuten kann. Die zum Beispiel kulturbedingte Unterschiede anerkennen und nicht reflexhaft positiv oder negativ bewerten. Meisterschaft im Führen hat den Blick für das Dazwischen. Für diesen Blick braucht es eine gewisse Distanz. Wer zu nah an den Dingen ist, wer sich zu heiß involviert, der wird nicht mehr erkennen können, dass das Gegenteil immer auch richtig ist.
Noch einmal: Die Fähigkeit, die von Ihnen als Führungskraft gefordert ist, ist eben nicht Wertebewusstsein, sondern Ambiguitäts-Toleranz. Der Blick für Mehrdeutigkeit. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Widersprüche zu sehen, beide Seiten anzuerkennen, sich vor beiden zu verbeugen – und dennoch für eine zu entscheiden, wenn die Sachlage es erfordert.
Gelassenheit – die Leidenschaft des Ausgleichs
Es gibt Einsichten, die in unserem Privatleben selbstverständlich sind, die aber vergessen werden, wenn wir die Geschäftsarena betreten. Auf bestimmte Stichworte hin, zum Beispiel »Change« oder »Wachstum« oder »Qualität«, überbieten sich Manager in Maximierungsfantasien. Dann geht es nur noch darum, Ballast abzuwerfen, Tempo zu gewinnen, das Alte hinter sich zu lassen. Rigoros. Konsequent. Ohne Wenn und Aber. Dabei
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