Radikal führen
gleichsam »beteiligt«. Dann würden Sie zum Beispiel erfahren, dass die Befriedigung von Kundenbedürfnissen Vorrang hat vor der technisch besten Lösung. In Deutschland wird immer noch mehr für den Ingenieur als für den Kunden entwickelt. Dabei könnte die Inflation letztlich wertloser Produktfunktionen durch eine streng kundenorientierte Kostenplanung vermieden werden. Was nicht nur für den Kunden das gute Gefühl erzeugt, dass er nur das bezahlt, was er auch braucht. Sondern auch für Sie: Das technisch Machbare mag noch so herausfordernd sein, das wirtschaftlich Machbare ist profitabler. Deshalb sollte man sich beim Kunden erkundigen. Nur der Kunde entscheidet, wie nah oder wie fern wir ihm stehen dürfen.
Wer auf die Expertise seiner Kunden baut und ihre Wünsche zur Weiterentwicklung von Produkten und Dienstleistungen systematisch nutzen will, der sollte Austauschflächen pflegen. Traditionell kann man über die Bildung eines Kundenbeirates nachdenken. Die Zukunft gehört aber sicher IT-Interfaces, mit denen man die Kunden in die Innovationsprozesse einbezieht. Was eine Öffnung der Unternehmensgrenzen bedeutet. Es ist jedenfalls klug, beim Bau einer Organisation mittels Beobachtungen, Befragungen, Experimenten und IT-Tools die Wunschvorstellungen der Kunden zu analysieren. Sie müssen die Grundlageder Organisation sein. Und nicht der Glaube, man wisse schon, was Kunden wollen. Und auch im täglichen Geschäft sollten Sie so nah wie möglich am Kunden bleiben. Gute Führungskräfte auch der obersten Ebene tun dies. Rick Goings etwa, der Chef des amerikanischen Konzerns Tupperware, der selbst mehrmals jährlich eine Tupperware-Party ausrichtet, um den Kontakt zu den Kunden nicht zu verlieren. Oder Ulf Schneider, Chef des Medizinkonzerns Fresenius, der für sein »Layer Skipping« bekannt ist. So nennt er es, wenn er sich direkt an die Quelle der Kundeninformation begibt. Häufig arbeitet er als Pflegehelfer einen Tag in der Krankenstation, um sich vor Ort beim Kunden zu informieren: Wenn »ein Thema von mehreren Kunden an einem Tag unabhängig voneinander angesprochen wird«, sagt er, »dann weiß ich sofort: Hier müssen wir uns kümmern, hier bewegt sich etwas im Markt.«
In Interviews geben CEOs auffällig häufig zu Protokoll, sie ärgerten sich über Mitarbeiter, die die Maxime »Kunden im Zentrum« nicht verstünden. In diesem Ärger drückt sich die typische Individualisierung struktureller Schieflagen aus. Man kann natürlich in tradierter Weise den Einzelnen anklagen und verändertes Verhalten fordern. Aber sind denn die Mitarbeiter Deppen, die aus lauter Dummheit oder Bosheit nicht das tun, was dem Unternehmen zuträglich ist? Stattdessen sollte man besser fragen: »Welche Organisationsstruktur legt kundenfeindliches Verhalten nahe?« Oft sind die Strukturen wahre Dienstleistungs-Wagenburgen, so gebaut, dass der Kunde operativ tatsächlich keine Rolle spielt. Er muss dann »künstlich« wieder eingeführt werden. Das Management setzt sich dann stellvertretend an dessen Stelle. Aus dem »Achte auf den Kunden!« wird unbemerkt wieder »Achte auf den Boss!« Die Blickrichtung wechselt aus der Horizontale in die Vertikale. Wollen Sie das?
Auch beim Thema Kundenorientierung wird oft Wasser gepredigt und Wein getrunken. Der Nachteil von Werten ist ja (und ich weiß nicht, wer das gesagt hat, aber ich zitiere es ungeniert), »dass jedes Arschloch sie im Munde führt«. So wird oft als Ziel akklamiert, die Kundenzufriedenheit und -bindung zu erhöhen. Gleichzeitig werden quartalsweise Umsätze vorgegeben, an denen die Leistung der Geschäftsführer wie der Vertriebsmitarbeiter gemessen werden sollen. Die aber erzwingen nichts anderes als den schnellen und möglichst hohen Abschlusserfolg. Das steht in Spannung zur langfristigen Kundenbindung. Wenn dann noch sogar sehr detailliert einzelne Produkte incentiviert werden, dann tun Verkäufer das, was ihnen nutzt – und nicht dem Kunden.
Stattdessen gilt: Machen wir einen guten Job für die Kunden, so können wir darauf vertrauen, dass sie wiederkommen. Wenn der Kunde erlebt, dass sich unsere Mitarbeiter nach Kräften bemühen, dann möchte er sich selbst binden. Wenn unsere Produkte oder Dienstleistungen verlässlich und stets aufs Neue seine Bedürfnisse befriedigen und seine Probleme lösen, dann wird er unser Kunde bleiben.
Kundenbindungsprogramme jedoch sind kontraproduktiv. Sie sind allzu oft Ersatz für Qualität oder werden als solcher
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