Radikal führen
noch nicht gefunden. Von den damals ausgewiesenen »Gewinner«-Unternehmen sind heute nur noch eine Handvoll am Markt. So ist es eben: Man kann sich im Leben nur die Richtung aussuchen, nicht das Ergebnis.
Kontextblindheit, oder: Sind Erfolge übertragbar?
Die Managementtheorie hat keinen Blick für die konkreten Umstände, für Traditionen, Reifegrade, Herkünfte, Lokales. Sie ist kontextblind. Unterschiedslos beglückt sie Kleinunternehmen, Großkonzerne, öffentliche Verwaltungen und Non-Profit-Organisationen mit denselben »modernen« Konzepten. Und sie will nicht wissen, dass deren Übertragbarkeit äußerst problematisch ist.
Doch Sie selbst haben es während der Lektüre von Erfolgsgeschichten bestimmt schon erlebt: »Aber beim Unternehmen XY war das ganz anders!«, stellen Sie dann fest. Genau. Da gibt es zum Beispiel ein Unternehmen, in dem einebestimmte Intervention großartige Früchte trägt. Derselbe Vorschlag scheitert aber in einem anderen Unternehmen – bei vergleichbarer Problemlage, Firmengröße, Organisationsstruktur. Identische Lösung, unterschiedliches Ergebnis. Wie ist das möglich?
Für jedes Erfolgsrezept gibt es zig gültige Gegenbeispiele: Faktoren, Praktiken und Muster, mit denen Unternehmen auf andere Weise erfolgreich wurden. Und auf jeden, der glaubte, er habe den Stein der Weisen gefunden, kommen Tausende, die dasselbe taten und dabei scheiterten. Deren Geschichte erzählt aber niemand. Kurz: Erfolge sind und bleiben Singularitäten. Die Erfolgsrezepte anderer sind die Erfolgsrezepte anderer. »One size fits all« mag für Mützen gelten, nicht für Unternehmen.
Jeder Erfolg hat seine eigene Geschichte
Wer als Manager davon ausgeht, die Wahl von Organisationselementen sei ihm freigestellt und hänge ausschließlich von seinem Wissen und seiner Entschiedenheit ab, der irrt. Zwar kann jeder Manager zu jeder Zeit bestimmte Managementmethoden einführen, aber ob das stabil und effektiv sein wird, hängt nicht nur von seinem Wollen ab.
Deshalb funktionieren Erfolgsrezepte nicht: Soziale Systeme sind relativ geschlossen, strukturdeterminiert und autonom. Eine erfolgversprechende Führungsintervention kann daher kaum mehr sein als eine Irritation mit dem Ziel, das System »Unternehmen« zur Eigenorganisation anzuregen. Ein Impuls also, der für das jeweilige System in der jeweiligen Situation passt. Und der weniger mit spektakulären Entschlüssen beeindruckt als vielmehr die Aufmerksamkeit der Organisation fokussiert.
Die Sozialforschung sieht noch einen anderen Aspekt: Sie spricht von der »Pfadabhängigkeit« der Interventionen. Ob eine Intervention erfolgreich eingeführt werden kann, hängtdavon ab, welchen Entwicklungsweg sie bisher in einem Sozialzusammenhang genommen hat. Wer zum Beispiel glaubt, eine Methode, die in einem bestimmten Unternehmen seit Langem gut funktioniert, sei einfach in ein anderes System einzufügen, der ignoriert dessen historisch gewachsene Struktur. Es ist unwahrscheinlich, dass das Instrument ohne Weiteres funktionieren wird, wenn ihm im Unternehmen das Signum von Bewährung und Berechtigung fehlt.
Es gibt also keine »richtigen« Führungsinstrumente, sondern nur mehr oder weniger »passende« Instrumente, die abhängig vom jeweiligen Kontext sind. Und da jedes Unternehmen und jede soziale Situation einzigartig ist, gibt es kein universal gültiges Instrument. Das, »was gerade Mode ist«, gut klingt und mindestens beste Absichten verrät, ist keineswegs für alle Unternehmen produktiv. Daher sollten Sie sich fragen: Was passt zu uns, was passt zu unserer Wurzel? Und, weit wichtiger noch, was passt nicht?
Komplex und kontingent, nicht nur kompliziert
Die Idee der Erfolgsrezepte ist personenzentrisches Denken, das sich im vorigen Jahrhundert mit der Maschinenkonzeption des Unternehmens verband. Das Unternehmen wird als mechanische Anlage begriffen, die man steuern und kontrollieren kann. Die Führungskraft ist die ordnende Kraft und sitzt am »Schaltpult«.
Man kann das Unternehmen auch anders beschreiben – als sozialen Zusammenhang. Dieser unterscheidet sich grundsätzlich von naturwissenschaftlichen Gegenständen. Bei sozialen Systemen kann man allenfalls über Wahrscheinlichkeiten sprechen, denn das Zusammenspiel von menschlichen Individuen ist nicht einfach nur kompliziert, sondern komplex. Gemeint ist damit: Selbst wenn man alle Einflussfaktoren kennen würde, so wären dennoch keine sicheren Vorhersagen möglich. Ganz einfach, weil die
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