Radikal führen
seltener wird man aus Erfahrungen lernen können. Das »ungestörte Arbeiten« wird zur Archivalie.
Vor einigen Jahren waren Unplanbarkeiten in dieser Form eher unbekannt. Wie schwer es fällt, sich darauf einzustellen, und wie hingebungsvoll weiterhin die mentale Langfristfolklore gepflegt wird, zeigt die Konjunktur des Wortes »Nachhaltigkeit«, das kaum noch Konkretes symbolisiert, mehr eine gedankliche Suchbewegung ist, vor allem eine schon fast »reaktionäre« Denkfigur darstellt – sie fokussiert immer auf etwas, das schon da ist.
Aber auch für die Organisation ist die Überraschung der Staatsfeind Nummer eins. Das Unternehmen GfK gab zum Beispiel für das Jahr 2011 als Parole aus: »Own the Future«. Die Zukunft »besitzen«? Es ist nun mal die Eigenschaft der Zukunft, dass niemand weiß, was sein wird. Wie will man das »besitzen«? Wahrscheinlich ist doch wieder das alte Spiel von Planung und Strategie gemeint, wie Birger Priddat trocken anmerkte. Man will offenbar etwas durchsetzen. Zukunftsfähig ist das nicht. Das wäre es erst, wenn es gerade anders kommt, als es geplant war, und man dennoch erfolgreich damit umgehen kann. Und genau in der Krise, im Umgang mit der Überraschung, beweist sich die Qualität der Führung. Denn: Was passiert, mögen Sie nicht im Griff haben; wie Sie darauf antworten, schon.
Warum Resilienz immer wichtiger wird
Ich erinnere einen Abend mit einer deutschen Managergruppe Mitte der 90er Jahre. Darunter war ein »Leiter Materialprüfung«, ein eher zurückhaltender Zeitgenosse aus Dresden, der aber die Gruppe mit Berichten von seiner Arbeit auf treffliche Weise unterhielt. Seine Aufgabe war es insbesondere, die Auslenkung von Flugzeugflügeln unter extremen Belastungen zu prüfen. Extreme Belastungen, das ist alles, was »zufällig« ist, auf das man aber vorbereitet sein muss: sogenannte »Luftlöcher«, Turbulenzen, Gewitter, übermäßige Lenkbewegungen. Bis zu 7 Metern nach oben und unten – so erinnere ich mich – müssen die Flügel ausschlagen können, ohne dass das Material bricht. Damals hörte ich zum ersten Mal das Wort »Resilienz« als Synonym für diese Elastizität. Und es war ein spannender Abend.
»Resilienz« ist ein Begriff aus der Materialwirtschaft. Er beschreibt, inwieweit ein Material, das sich unter Druck verformt, wieder seine ursprüngliche Form zurückerlangt, wenn der Druck nachlässt. Ältere Bilder für diesen Zusammenhang sind das Schilfrohr, das sich im Winde biegt, aber nicht bricht. Umgangssprachlich kann man also auch von »Widerstandsfähigkeit« oder »Flexibilität« sprechen. Im übertragenen Sinne ist es die Fähigkeit, Unerwartetes zu meistern und aus Turbulenzen gestärkt hervorzugehen. Und es ist aus der Sicht vieler Wissenschaftler die fundamentalste Lehre, die man aus den Krisen der vergangenen Jahre ziehen muss. »Resilienz muss zum Ersatz werden für das längst uneinlösbar gewordene Versprechen von Stabilität«, sagt Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.
Das heißt also: Führung muss erstens aktiv werden, wenn das Unternehmen ungebremst auf eine Mauer zufährt. Führung muss zweitens über den Tellerrand schauen, Umweltveränderungen abtasten, Veränderung »vorher sehen«. Beides nennt man, der Lieblingsspruch aller Manager, die »Hausaufgaben machen«. Führung muss jedoch mehr tun. Sie muss sich drittens der Resilienz verschreiben. Sie muss das Unternehmen mental und strukturell vorbereiten auf das Hereinbrechen des Zufalls, des wirklich Neuen, das in Gestalt einer Revolution, einer plötzlichen Ressourcenknappheit, eines politischen Großeingriffs, eines unerwarteten Marktteilnehmers oder eben etwas völlig Vorbildlosem auftreten kann.
In den Jahren 2008 und 2009 haben nahezu alle Unternehmen gelernt, was »Krise« bedeutet. Welche Lehren wurden daraus gezogen? Was wurde getan, um künftigen Krisen gelassener entgegenzublicken? Wie lassen sich Unternehmen überhaupt so gestalten, dass sie unter rasch wechselnden Rahmenbedingungen und plötzlichen Veränderungen nicht versagen? Wie hält man eine Organisation in Bewegung? Wie sich auf das Unplanbare vorbereiten?
Der Störungsauftrag des Managements
Es gibt diesen fast naturgesetzlichen Kreislauf, dass Wohlfahrt zu Dekadenz führt. Und die Dekadenz dann die Wohlfahrt unterhöhlt. Um diesen Zyklus zu unterbrechen, müssen wir die Krise in die alltagshypnotische Routine aktiv einbauen. Das ist der Störungsauftrag der Führung. Diese
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