Radikal führen
Wirtschaft ist ein wunderbarer Beleg für Freiheit – man kann es auch anders machen.
Was funktioniert? Alles. Mehr oder weniger. Ist das wenigstens ein Erfolgsrezept? Ja – es lautet, keins zu haben. Das ist das Einzige, was wirklich funktioniert.
Nach der Krise ist vor der Krise
Alle menschliche Geschichte ist Bewegung, und es hat zu allen Zeiten Umwälzungen gegeben. Und doch unterscheidet sich die Gegenwart von den Bedingungen der Vormoderne. Neu sind vor allem die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Veränderungen – gerne illustriert mit der heute belächelten Prognose von IBM-Gründer Thomas Watson, der 1943 einen Weltmarkt für Computer von ungefähr fünf Exemplaren prognostiziert haben soll. Und noch 1977 erklärte Ken Olsen, Präsident der Digital Equipment Corporation: »There is no reason for any individual to have a computer in their home.«
Der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat den zugrunde liegenden Gedanken sinngemäß einmal so formuliert: »Es gibt Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.« Der kollektive Facebook-Hype ist ein Beispiel für die letztgenannten Dinge, die »unbekannten Unbekannten«. Man kann sie auch beim besten Willen und mit immensem Aufwand nicht vorhersehen. Und sie machen unsere Planungen immer häufiger zunichte durch Rückkopplungsschleifen und nichtlineare Einflüsse.
»Alles Ständische und Stehende verdampft«, schrieb Karl Marx 1848 in seinem Kommunistischen Manifest. Worte, wie für die Gegenwart geschrieben. Heute wechseln unterschiedliche Szenarien in rasanter Folge: Massives Wachstum in Asien und Stillstand in hoch industrialisierten Ländern. Bevölkerungsexplosion steht gegen Überalterung, Rohstoffhunger gegen Ressourcenknappheit, Bildungsarmut gegen neue Intelligenz, Ökonomie gegen Ökologie, kurzfristiges Überlebenwollen gegen die Forderung nach Nachhaltigkeit. Kunden fordern drastische Preisnachlässe und gleichzeitig höhere Leistung. Über das Internet drängen Mitbewerber auf den Markt, die das erfolgsverwöhnte Geschäftsmodell in Frage stellen. Was machen Medien, wenn es inzwischen unendlich viele Möglichkeiten gibt, sich mit Nachrichten zu versorgen? Werden Tagesthemen oder Heute Journal zum Sandmännchen für Erwachsene? Das alles überwölbt von einer technologischen Hyper-Dynamik, der wachsenden Macht sozialer Netzwerke sowie sprunghaft-unkalkulierbarer Politik. Beispiele gibt es genug. Erinnern Sie sich an die extrem teure Entwicklung des Jägers 90/Eurofighters? Zum Zeitpunkt seines Ersteinsatzes wurde er kaum noch gebraucht, weil er für den Kalten Krieg konzipiert war, der Eiserne Vorhang aber mittlerweile gefallen war. Oder denken Sie an die Situation im Herbst 2008, in der die Wirtschaft gleichsam über Nacht abstürzte und Unternehmen lernen mussten, mit Umsatzeinbrüchen von 40 und 50 Prozent zu leben. Und wie dramatisch nimmt die Halbwertszeit von sogenannten »Lösungen« ab! Was gestern noch gut war, ist heute schon veraltet. Sieht sogar irgendwie »von vorgestern« aus. Wie lächerlich muten heute Handys an, die gerade mal 15 Jahre alt sind. Viele Unternehmen werden von immer neuen Neuerungen gleichsaman die Wand gedrückt und wissen kaum, wie sie sich ihrer erwehren sollen. Reicht es da noch aus, eine glänzende Wachstumsstory zu erzählen, die schon nach ein paar Monaten antiquarisch ist? Der heutige Aufsichtsratsvorsitzende der Robert Bosch GmbH, Franz Fehrenbach, im Oktober 2010: »Wir müssen uns damit abfinden, dass uns zunehmend dynamische Marktentwicklungen erwarten, die darüber hinaus immer größere Amplituden haben.«
Man muss mithin kein Keynesianer sein, um eine Kategorie zu kreditieren, mit der der Großmeister der staatlichen Intervention die wirtschaftliche Entwicklung beschrieb: Unsicherheit. Wir wissen nicht, was kommen wird. Wir wissen es seit den 90er Jahren täglich weniger. Und es nimmt immer häufiger die Form der Überraschung an. Die Dynamik der Moderne, die man traditionell in Begriffen wie Fortschritt oder Rückschritt beschreibt, löst sich in Turbulenzen auf, die keine Vergleiche kennen. Die Gegenwart überstürzt sich, die Frequenz der Veränderungen auf den Märkten wird unkalkulierbar. Störungen pendeln sich nicht aus, sondern wir schwingen uns von Störung zu Störung. Wir lassen gleichsam das Zeitalter der Ausnahmen hinter uns. Der Ausnahmezustand wird zum Normalzustand. Das Wort »Krise« hat seinen Schrecken schon fast verloren. Immer
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