Radikal führen
für unfehlbar – bis er eines Tages scheitert.
Wir nennen das »induktives Denken«. Es ist die Tendenz, aus Einzelbeobachtungen schließlich Gewissheiten abzuleiten: »Es ist noch immer gut gegangen.« Das sagen aber nur diejenigen, die überlebt haben; die anderen können nicht mehr sprechen. Die aber würden eher Benjamin Franklin zitieren: »Nichts ist sicher, außer dem Tod und der Steuer.« Heißt: Es ist ein gravierender Denkfehler, die Tatsache, dasses mich gibt, als Hinweis zu nehmen, dass es mich auch in Zukunft geben wird. Ich kann vielmehr sicher sein, dass das nicht der Fall sein wird.
Zukunft ist ein kognitives Konstrukt. Dass wir Menschen darüber verfügen, unterscheidet uns von den allermeisten Tieren. Und es ist von fundamentaler Bedeutung für den evolutionären Erfolg unserer Spezies. Dennoch sind wir auf die Aufgabe, Zukunftsfähigkeit zu sichern – sei es unsere persönliche oder die einer sozialen Gemeinschaft -, gattungsgeschichtlich nicht gut vorbereitet. In der Vormoderne gab es keine Zukunft – weder als Begriff noch als Vorstellung. Und noch die deutsche Sprache des Mittelalters verfügte nicht über die Zeitform des Futurums. Wir müssen uns also gleichsam an die Zukunft »erinnern«. Wenn wir weiter mitspielen wollen.
Die Erfolgsfalle
Kodak, die Foto-Ikone des Zelluloidzeitalters, verstarb 2012. In diesem Unternehmen wurde einst auch die Digitalkamera erfunden. Und das Management hatte deren Potenzial erkannt. Aber sie wurde als Bedrohung des bisherigen Geschäftsmodells empfunden, nicht als Chance. Deshalb wurde ihre Entwicklung nicht weiterverfolgt. Das haben dann andere gemacht.
Das Beispiel zeigt: Der Ursprung allen Scheiterns ist der Erfolg. Und nur auf den ersten Blick scheint diese Aussage paradox. Betrachten wir die Geschichte eines Unternehmens: An seinem Anfang steht immer ein Erfolg, ein gelungener Markteintritt. Es herrscht Enthusiasmus, man ist mit dem richtigen Produkt unterwegs, der richtigen Dienstleistung zur richtigen Zeit. Der Erfolg beflügelt zusätzlich, das Tempo nimmt zu, Routine stellt sich ein. In einem ruhigen Moment sucht man rückblickend die Gründe für seinen Erfolg: »Weil wir das sound so gemacht haben, deshalb sind wir jetzt so erfolgreich.« Nur ein Spielverderber würde auf glückliche Umstände verweisen. Und dann beginnt der immer gleiche Prozess: Man verklärt vergangene Entscheidungen, nimmt nur noch Informationen auf, die frühere Festlegungen bestätigen, Chefs umgeben sich mit Mitarbeitern, die ihnen nach dem Munde reden, lesen nur Zeitungen, deren Meinungstendenz sie teilen, trennen die Welt in »good guys« und »bad guys« – die einen werden geschont, die anderen verhauen. So verwandeln sich Ursprungserzählungen allmählich zu Widerspruchserzählungen gegen das Aktuelle und Zukünftige.
Schon Friedrich Nietzsche entdeckte, dass nicht nur Spätzeiten dekadent sein können, sondern auch Frühzeiten. Der Niedergang wartet gleich neben dem Aufstieg. So entwickeln auch Unternehmen sehr früh autistische Tendenzen, werden schnell innovationsfeindlich. Dies nicht etwa, weil erzkonservative Finsterlinge das Zepter schwingen, sondern weil das Wesen der Organisation die Ausblendung von Alternativen ist. Aus dem »So-oder-So« macht die Organisation ein »Nur so!« Das nennt man dann »Prozess«, »Hierarchie«, »Policy«. Und es ist der Kern der Organisation als Organisation.
So entwickeln sich nahezu alle Unternehmen: Einst hatte man Probleme, für die man Lösungen suchte; dann hat man Lösungen, für die man Probleme sucht. Einst war das Unternehmen das Mittel zu dem Zweck, die Probleme der Kunden zu lösen; dann ist der Kunde das Mittel zu dem Zweck, die Probleme der Unternehmen zu lösen. Die Organisation wird absolut gesetzt, nicht mehr hinterfragt. Und starke, erfolgsverwöhnte Tradition verführt zu dem Glauben, dass es so, wie es lange war, auch noch lange sein wird. Das galt in Deutschland für Nixdorf, wo man vor lauter nachkriegszeitlichem Schulterklopfen nicht bemerkte, dass man zwischen Großrechner und PC zerquetscht wurde; das galt für AEG, für Grundig, Holzmann, Quelle, Karstadt, Märklin, Schiesser, Rosenthal, Escada, Karmann, Telefunken, Saba, Nordmende, Rollei, Agfa, Voigtländer, Sal. Oppenheim – um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen. Wo einst Leidenschaft war, ist jetzt Archiv.
Ähnlich den Menschen, die die Vergangenheit verherrlichen und dabei die Gegenwart verpassen, so gehen Unternehmen unter,
Weitere Kostenlose Bücher