Radikal
kannte auch Munkelmann, wie Merle weiter beobachten konnte. Die beiden Männer schüttelten einander freundlich die Hände. Und weil Merle Schwalb vom Globus ihrerseits zu den Personen gehörte, die Herr Eins in seiner Funktion kennen musste, wies der Geschäftsführer des Café Einstein dem Büroleiter von Lutfi Latif nun den Weg, indem er, sehr diskret und elegant, mittels eines leicht geneigten Kopfes und dezent gelüpfter Augenbrauen in Merle Schwalbs Richtung deutete.
Das Café Einstein war ein Ort der Unzucht, der freundlicher und behaglicher nicht sein konnte. Die vordere Hälfte, zum Boulevard Unter den Linden hin, gehörte im Wesentlichen den Touristen. Hinter einer unsichtbaren Grenze aber, an der als Grenzposten fast immer Herr Eins stand, begann jene diskrete Zone, in der jeder jeden sah, aber jederzeit bereit war, so zu tun, als habe er den anderen nicht gesehen. Hier aßen Politiker, die sich gerade noch öffentlich im Bundestag zerfleischt hatten, einträchtig miteinander Wiener Saftgulasch und lachten über ihre Schlachten, die sie nur für die Kameras schlugen. Hier fädelten Lobbyisten und Exminister auf dunklen Lederbänken und bei wachsweichen Eiern im Glas noch dunklere Deals ein, die erst Monate später in den Zeitungen auftauchen würden – wenn überhaupt. Hier wechselten Briefumschläge über dampfenden Tellern mit Tafelspitz den Besitzer, in denen sich,je nach Saison und politischer Konjunktur, »vertraulich« gestempelte Akten eines Untersuchungsausschusses befanden oder streng geheime Wahlkampfkonzepte oder noch geheimere Gesetzesentwürfe, die allesamt gerade nicht geheim bleiben sollten.
Und an jedem zweiten Tisch saßen Journalisten. Die einen, die großen, preisgekrönten, wichtigen, trafen hier ihre heimlichen Duzfreunde, die oft aus erstaunlich vielen und unterschiedlichen Parteien stammten. Sie hielten in der Regel einen Tag in der Woche Hof und veröffentlichten am nächsten ihre gut informierten Kolumnen. Und die anderen, die kleinen oder mittelgroßen, die wenigstens ein bisschen Auslauf aus ihrem Büro haben wollten und ihre redaktionsinterne Relevanz durch keineswegs übertriebene, aber dennoch aussagekräftige Bewirtungsbelege aufbessern wollten, kamen zum Arbeiten hierher – allerdings niemals zum Schreiben. Sie trafen Informanten. So wie Merle Schwalb.
Nachdem Munkelmann sie endlich gefunden hatte, kamen die beiden schnell zur Sache. Die Vorstellung ging zügig vonstatten, Cord Munkelmann nahm offenbar an, dass Merle Schwalb nicht viel Zeit haben würde, und das schmeichelte ihr. Ein freundliches Lächeln, schön, dass es endlich einmal klappt! – ja, wirklich! Der Form halber glitten zwei Visitenkarten in entgegengesetzter Richtung über den rosamarmornen Tisch, auf denen freilich nichts stand, was der Empfänger nicht wusste.
Was Merle Schwalb dann allerdings doch überraschte, war der Inhalt von Cord Munkelmanns Aktenmappe, den er ihr nach einigen einleitenden Sätzen bereitwillig überließ, indem er den braunen DIN – A4-Umschlag beiläufig über den Tisch schob.
»Wow, ich hatte eigentlich nur vorgehabt, Sie einmal kennenzulernen, perspektivisch, wie man so sagt, falls mal was anliegt. Und Sie liefern mir gleich eine kleine Geschichte.« Schnell blätterte die Journalistin durch die Papiere. »Und er wird ernsthaft bedroht?«
»Mit dem Tode, ja.«
Merle Schwalb stopfte die Blätter zurück in den Umschlag und ließ ihn in ihrer geräumigen Handtasche verschwinden. »Irgendwelche Bedingungen?«
»Sie werden mich nicht zitieren, das ist die Bedingung. Das Büro des Abgeordneten Latif und er selbst werden überhaupt nicht auftauchen. O. k.?«
»Wie stellen Sie sich das vor? Jeder wird doch sofort vermuten, dass die Dokumente aus seinem Büro kommen.«
»Eben nicht, wenn Sie es geschickt anstellen.«
»Verstehe ich nicht.«
»Das BKA ist für den Personenschutz von Abgeordneten zuständig. Seit Ihrer letzten Geschichte über den Beförderungsskandal im BKA weiß jeder, dass Sie Kontakte in die Behörde haben.«
»Jetzt verstehe ich.«
»Genau. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie irgendwie andeuten könnten, dass die Informationen von dort stammen könnten . Schließlich haben die eh alles in Kopie. Sie bauen einfach ein Zitat von einem BKA – Mann ein, und alles ist bestens.«
»O. k., kriege ich hin. Vielen Dank, Herr Munkelmann. Wir bleiben in Kontakt, ja?«
»Ja, Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen können.«
***
Dass ich ihn nicht
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