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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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verüben, bizarr finden.«
    Die Brünette reagierte auf diese Ausführungen mit einer Geste, die so nah an einem verächtlichen Schnauben war, wie es ihre elegante Erscheinung und die mitgelieferten Andeutungen einer erstklassigen Erziehung zuließen. »Und Sie glauben diesen Interviewpartnern ?«
    »Na ja, beweisen kann ich nicht, dass sie die Wahrheit sagen. Aber ich bin überzeugt, dass die Gruppe derer, die Gewalt gegen Invasoren im Sinne eines Abwehrkampfes gutheißt, um ein Vielfaches größer ist als die Zahl derer, die Gewalt gegen Zivilisten jenseits des Schlachtfeldes befürworten. Diese Position ist außerdem theologisch viel einfacher zu begründen als die extremere, sie ist im Grunde Mainstream.«
    »Und finden Sie es nicht bedenklich, dass auch jemand, der angeblich nur zum Kämpfen gegen die bösen Amerikaner nach Afghanistan geht, trotzdem den Konsens aufkündigt, der es ihm überhaupt gestattet, hier zu leben? Ich glaube jedenfalls nicht, dass wir eine Pflicht haben, solche Menschen nach ihrer Rückkehr hier zu dulden. Die Probleme beginnen ja nicht erst, wenn sie etwas Bestimmtes tun, sondern weil sie etwas Bestimmtes denken. Haben Sie das nicht so gesagt?«
    Samson lagen viele Antworten auf der Zunge. Aber er beließ es bei einer unverbindlichen Antwort, die eigentlich keine war. So hatte er es sich in solchen Fällen angewöhnt. Natürlich glaubte er, dass er selbst recht hatte. Aber wie sicher konnte man sich sein? Hamburg , dachte Samson. Vergiss das nicht. Vergiss es nie.
    ***
    Merle Schwalb war 33 Jahre alt, eher groß, eher dünn und eher hübsch. Seit vier Jahren war sie beim Globus , wo es über sie hieß, dass sie zu denen gehörte, »die stehen« – deren Geschichten also in der Regel nicht wegbrachen, die nicht zu viel ankündigten und die auch abends um elf erreichbar waren. Merle Schwalb hatte immer ins Parlamentsbüro gewollt, das war schließlich die Champions League, und vor drei Jahren hatte sich dieser Wunsch erfüllt. Aber noch war sie nicht da, wo sie hinwollte, es gab einen Preis für ihre Anwesenheit – und der bestand darin, dass Merle Schwalb Gedöns – Redakteurin war. So jedenfalls lautete ihre inoffizielle Bezeichnung in der Redaktion, wie Merle Schwalb sehr wohl wusste. Gottlob gab es noch mehr für Gedöns zuständige Redakteurinnen und Redakteure, schließlich war der Globus eines der wichtigsten Nachrichtenmagazine der Republik. Hans Kaiser betreute Entwicklungshilfe, Barbara Scheidten kümmerte sich um Familienpolitik. Der Schwerpunkt von Merle Schwalb war immerhin Gedöns deluxe : Integrationspolitik und Muslime in Deutschland. Der Vorteil lag auf der Hand: mehr Aufregerthemen, mehr Berührungspunkte zu den harten Themen Terror und Organisierte Kriminalität, mehr potenzielle Titelgeschichten, mehr gelegentliche Auslandsreisen.
    Und jetzt, mit Lutfi Latif im Bundestag, konnte sie kaum so viele Geschichten anbieten, wie die Ressortleiter wollten. Selbst kleine Meldungen über die Schlachten von Latifs längst verstorbenen Vorfahren wurden ihr aus der Hand gerissen. Kontakt zu seinem Büroleiter aufzunehmen war daher reines Pflichtprogramm gewesen, und Munkelmann wusste das zweifellos. Aber aus einem Grund, den sie noch nicht kannte, war er offenbar auch von der Symbiose angetan, die der Kontakt zum Globus bieten mochte. Zwar war ihr Munkelmann von Beginn an eher unsympathisch gewesen. Aber eine Geschichte war eine Geschichte, dachte Merle Schwalb, und Munkelmann hatte ihr eine frei Haus geliefert, Belege inklusive, und Belege waren beim Globus der Goldstandard.
    Insgesamt hatte Latifs Mitarbeiter ihr etwa 30 Seiten überlassen, alles Kopien von Briefen und E-Mails, die seit seiner Wahl an den Abgeordneten Lutfi Latif geschickt worden waren. Als sie fünf Minuten nach der Verabschiedung von Munkelmann mit ihrem Fahrrad wieder in den Redaktionsräumen des Globus angekommen war, hatte Merle Schwalb sich sofort in ihr kleines Einzelbüro mit Blick auf den Innenhof zurückgezogen und entgegen der allgemeinen Gepflogenheiten beim Globus die Tür geschlossen.
    »Wichtig?«, hatte Kaiser gefragt, der ihr Zellennachbar war, und gerade mit einer Bäckereitüte in der Hand an ihrem Büro vorbeimarschierte.
    »Ja.«
    Das war vor drei Stunden gewesen. Mittlerweile hatte Merle Schwalb das Material mehrfach gelesen. Der schrille Ton der Drohungen, die brutale Härte der Verurteilungen und der tiefe Hass, der die teilweise deutlich beschädigte Grammatik völlig unbeschadet

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