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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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gleich erkannt habe! Samson war gerade dabei, anhand von Filmsequenzen aus Propagandavideos zu demonstrieren, wie verschieden sogenannte Terrorcamps sein konnten, vor seinem geistigen Auge aber lief gleichzeitig ein wackeliger Super-8-Film ab, in dem Stefan, sehr angetrunken, seinen Kopf in Samsons Schoß legte und mit schwerer Zunge sagte: »Ich habe noch nie gekifft. Ich habe noch nie gefickt. Ich kann nicht tanzen. Ich habe keine Meinungen, ich will nichts, ich denke nie nach und ich sehe ziemlich scheiße aus. Habe ich noch nie jemandem erzählt.« Man hat nicht viele Freunde im Leben, dachte Samson. Kurz und schmerzhaft machte er sich klar, wie wenige Beziehungen zum Beispiel aus seiner Studienzeit in Hamburg übrig geblieben waren.
    Samson hob den Kopf von seinen Notizzetteln und ließ den Blick kurz durch den Raum schweifen, in dem etwa 35 Juristen saßen und ihm mehr oder weniger konzentriert zuhörten. Er suchte Stefan und fand ihn in der dritten Reihe. Stefan zwinkerteSamson sofort zu, als ihre Blicke sich trafen. Samson lächelte kurz zurück.
    Das Problem mit den Terrorcamps hatte mehr als nur eine Dimension. Normalerweise kümmerte das seine Zuhörer nicht, für sie war jemand, der sich nach Waziristan aufmachte, per se durchgedreht. Es interessierte sie nicht weiter, wie es dort genau aussah, wo genau derjenige ankam, worin genau man ihn unterrichtete oder gerade nicht und ob er dort bloß kämpfen wollte oder sich auch auf andere, schlimmere Sachen vorbereitete. Heute, registrierte Samson mit einem Anflug von Genugtuung, war das etwas anders. Eine hübsche Brünette in der Mitte der zweiten Reihe etwa machte sich angestrengt Notizen. Vielleicht, dachte Samson, ist sie ja Richterin – eine von denen, die dann eines Tages entscheiden müssen, ob jemand, der nach der Wiedereinreise nach Deutschland festgenommen wird, sich eine paramilitärische Ausbildung abgeholt hat mit dem Vorsatz, anschließend Terroranschläge auszuüben – oder ohne einen solchen.
    Angesichts dieser Möglichkeit und weil sie tatsächlich interessant aussah, ging Samson spontan noch etwas weiter ins Detail. »Was Sie verstehen müssen«, erklärte er, »ist das Denken dieser Menschen. Es gibt viele, die den Kampf gegen die Invasoren in einem islamischen Staat wie Afghanistan oder dem Irak als Pflicht für alle Muslime betrachten. Und sie halten es nicht aus, nur zuzusehen. Sie wollen ihre Pflicht erfüllen, weil sie glauben, anderenfalls des versprochenen Heils im Jenseits verlustig zu gehen. Also nehmen sie Kontakt auf, lassen sich vermitteln – und landen dann eben eventuell in Waziristan.« Aber nach drei Monaten, spann er den Faden weiter, sehen sie ihre Pflicht vielleicht als erfüllt an. Dann reisen sie, wenn sie noch am Leben sind, wieder zurück. Pflicht erfüllt, Ende der Veranstaltung. Von einem Vorsatz, anschließend irgendwo Anschläge durchzuführen, könne dann kaum die Rede sein.
    »Entschuldigung!«
    Samson sah, wie die Brünette einen akkurat manikürten Finger in die Luft stach. Normalerweise würde er darauf verweisen, dass er Fragen lieber im Anschluss beantworte. Stattdessen nickte er einladend.
    »Entschuldigung, aber ich verstehe das nicht ganz: Wir wissen doch aus realen Fällen, dass die Grenze hier fließend ist. Die Sauerland-Zelle zum Beispiel, die wollten eigentlich nur kämpfen, haben sie gesagt, alle vier. Aber als die Truppe, bei der sie landeten, sie aufforderte, Anschläge in Deutschland zu machen, haben sie eingewilligt. Zwei von ihnen, Fritz Gelowicz und Adem Yilmaz, haben das sogar zugegeben.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Samson.
    »Und wie kommen Sie dann auf Ihre These, wenn ich fragen darf? Wahrscheinlich ja nicht wegen der zahlreichen anderen Fälle, in denen vor Gericht herauskam, dass es so war, wie Sie insinuieren. Denn so weit ich sehe, gibt es die nicht.« Die Brünette schlug triumphierend die Beine übereinander und wartete auf Samsons Replik.
    »Zunächst einmal würde ich den Umstand, dass es in vielen Fällen gar keine Verfahren gab, eher als Unterstützung für meine These interpretierten«, begann er möglichst diplomatisch. »Allerdings gibt es noch bessere Belege. Zum Beispiel Interviews mit Rückkehrern. Ich habe in den letzten drei Jahren 28 Personen in Deutschland befragt, die in Afghanistan und Pakistan oder im Irak gewesen sind, um gegen die Nato oder die US – Armee zu kämpfen. Bis auf einen haben alle gesagt, dass sie die Idee, im Westen Terroranschläge zu

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