Radikal
Fadi und ihre Tante natürlich auch. Und wenn es auch nicht ihr gegolten hatte, fühlte es sich dennoch gut an, an einem Ort zu sein, an dem dieses Wort einen Platz hatte.
Dann klatschte Lutfi Latif in die Hände.
»Cord, Sumaya, ich schlage vor, wir legen einfach mal los. Sumaya, wollen Sie sich vielleicht das ganze Material anschauen und mir danach einen Vorschlag machen, wie wir damit gegenüber der Presse umgehen?«, fragte er.
»Natürlich, gerne«, antwortete Sumaya ohne nachzudenken.
»Cord, geben Sie Sumaya dann bitte die Unterlagen? Und anschließend gehen wir beide die Termine der nächsten Tage durch, ja? Und dann ist da noch etwas Papierkram wegen des Büros zu erledigen, oder?«
Sumayas Kollege nickte und ging in das erste, an der Tür zumFlur gelegene Büro, wo er eine lederne Aktenmappe öffnete. Sumaya sah auf ihre Armbanduhr. Es war 9 Uhr 33. Sie hatte soeben ihren ersten Auftrag erhalten. Nur dass sie noch immer keine Ahnung hatte, worum es eigentlich ging. Das musste sie so schnell wie möglich in Erfahrung bringen. Sie folgte Munkelmann mit etwas Abstand. Als sie sicher war, dass Lutfi Latif wieder mit dem Handwerker zu tun hatte, sprach sie ihren Kollegen an.
»Entschuldigung, guten Morgen, ich weiß, das ist etwas blöd als allererste Frage. Aber wissen Sie vielleicht, wo ich die Toiletten finden kann?«
Munkelmann sah auf, wirkte kurz irritiert, grinste dann aber. »Guten Morgen. Ja, klar. Sie gehen einfach raus, halten sich rechts, und dann müssen sie nur noch an drei oder vier anderen Büros vorbei. – Ich bin übrigens Cord«, ergänzte er nach einer kurzen Pause.
»Sumaya«, sagte Sumaya, und reichte ihm die Hand. »Ich bin Sumaya. Ich gehe dann mal schnell … Vielleicht können wir uns ja später noch ein bisschen in Ruhe unterhalten?«
»Ja, gerne«, sagte Munkelmann.
Sumaya befahl sich, die Situation nicht peinlich zu finden, während sie aus dem Büro eilte. Glücklicherweise hatte sie schon auf dem Weg ins Büro festgestellt, dass im Jakob-Kaiser-Haus auf vielen der Wartetischchen in den Gängen und Fluren Exemplare der wichtigsten Zeitungen auslagen, außerdem von Globus , Argus und Spiegel . Sie fand einen dieser Tische, griff sich den Globus und begann zu suchen. Es dauerte nicht lange, bis sie fündig wurde. Die Meldung stand auf einer der ersten Seiten des Magazins. »Im Visier von Extremisten« lautete die Überschrift. Neben dem Text prangte ein Foto von Lutfi Latif. Sumaya las, so schnell sie konnte.
Der Bundestagsabgeordnete Lutfi Latif (Grüne) wird nur drei Wochen nach seiner Wahl in den Bundestag von islamistischen Extremisten mit dem Tode bedroht. Entsprechende E-Mails, Briefe und Postkarten liegen dem Bundeskriminalamt ( BKA ) vor, das für den Schutz der Bundestagsabgeordneten zuständig ist. Die meisten der Zuschriften sind offenbar anonym. Einige ließen sich aber dem Umfeld sogenannter islamistischer Gefährder zuordnen, heißt es in Sicherheitskreisen. BKA , Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst werten die Schmähschriften gemeinsam aus. DieRadikalen werfen Latif unter anderem vor, dass er die in Deutschland lebenden Muslime im Wahlkampf wiederholt zu mehr demokratischem und gesellschaftlichem Engagement aufgerufen hatte. In einer der E-Mails heißt es: »Es ist kein Geheimnis, dass du von den Kuffar bezahlt wirst, um die Spaltung und Schwächung der Umma voranzutreiben, und das kommt einem Todesurteil für dich gleich.« Die Sicherheitsbehörden nehmen die Zusendungen ernst. »Wir halten das für bedrohlich«, sagt ein hochrangiger Beamter. »Wir wissen, dass es Islamisten in diesem Land gibt, die so etwas umsetzen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen.« Lutfi Latif, gebürtiger Ägypter mit deutscher Staatsangehörigkeit, gilt auch über die Grenzen Deutschlands hinaus als Vordenker einer zeitgemäßen Islam-Interpretation, in der er gesellschaftliches Engagement und persönliche Gläubigkeit zu versöhnen versucht. Verschiedene Anführer des Terrornetzwerks al-Qaida haben den Berliner bereits als »Gefahr für den Islam« gebrandmarkt.
Sumaya fiel das merkwürdige Ende ihres Vorstellungsgesprächs in der Vorwoche ein. »Wieder der Mann vom BKA «, hatte Munkelmann dem Abgeordneten zugeflüstert. Sicher war es da schon um diese Drohungen gegangen. Nun waren sie öffentlich geworden. Sumaya erschauderte. Wir halten das für bedrohlich. Als sie wieder im Büro war, telefonierten sowohl Lutfi Latif als auch Cord auf ihren Handys.
Weitere Kostenlose Bücher