Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash

Vom Netzwerk:

Parlament gewählt haben, der Lutfi Latif heißt und unsere Religion beleidigt? Wallahi , wir kennen hier solche Typen,und es wäre besser, es gäbe sie nicht, du weißt, was ich meine, denn sie führen die Geschwister in die Irre, was das Schlimmste ist, und Gott weiß es am besten.«
    Samson ahnte, was AbuJaqub mit seiner Wortmeldung bezweckte. Er wollte austesten, wie die Stimmung war. Denn AbuJaqub gehörte zu denen, für die es nicht genug Anschläge und Attentate geben konnte, weil es so viele Feinde gab, und die es daher als ihre Aufgabe betrachteten, die anderen auf Kurs zu halten und ihnen immer wieder einzutrichtern, dass sie aktiv werden sollten. Samson hielt sich AbuJaqub bewusst warm, denn der Saudi war extrem gut vernetzt. Er sprach außer Arabisch und Englisch auch Urdu, weil er offenbar eine Zeit lang mit seiner Familie in Pakistan gelebt hatte. AbuJaqub wusste oft von irgendwelchen Anschlagsplanungen im Anfangsstadium, was ihn als Quelle sehr wertvoll machte, denn er verriet zwar nie Details, aber seine Andeutungen, womit zu rechnen sein könnte, waren schon mehr als einmal wahr geworden.
    Samson fluchte. Morgen , dachte er, ich kann nicht mehr .
    Aber er wusste, er würde antworten müssen, und seine Antwort musste überzeugend klingen. Nicht nach Samson. Sondern nach Saif-ul-Jeehad , dem Dschihadisten aus Deutschland, von dem AbuJaqub seinerseits glaubte, er sei zu allem entschlossen.
    »Bruder«, tippte Samson langsam auf seiner mit lateinischen und arabischen Buchstaben doppelt belegten Tastatur, »wir können über dieses Thema nicht reden. Es ist besser so. Du wirst von mir hören. Und von diesem Kafir , möge Gott ihn strafen, auch. Bete das Bittgebet für mich, Bruder. Es ist gut, wenn jeder von uns weiß, was er zu tun hat.«
    Das dürfte für den Moment genügen. Samson packte zusammen, kletterte die schmale Holztreppe hinunter, die zum Dachboden führte, und schloss die Tür zu seiner Wohnung auf. Zehn Minuten später lag er im Bett. War es ein gutes Zeichen, dass es ihm manchmal, heute zum Beispiel, doch noch zu schaffen machte, wenn das Letzte, was er am Tag tat, ein Gespräch mit einem Terroristen war? Dass er sich dreckig fühlte? Samson fand keine Antwort.
    ***
    Ansgar Dengelow fühlte sich alt, weil es ihm Mühe machte, noch einmal aufzustehen. Das war noch nicht lange so; früher wäre er bereitwillig, ja froh aus dem Bett gesprungen. Sein Wecker verkündete in blauen Ziffern, dass es 2:04 Uhr am Morgen war. Ansgar Dengelow stöhnte. Aber er würde die SMS lesen müssen, er war Fahnder beim Bundeskriminalamt, er war V-Mann-Führer, er war auf gewisse Weise immer im Dienst, und das vibrierende Ding auf dem Sofa war sein Diensthandy.
    »Weissenthal ist sauber, er hat keinen Stoff«, las er.
    Schade, dachte Dengelow. Aber egal. Trotzdem ein guter Mann. Seit ich Munir die Liste gegeben habe, hat er drei Sprengstoffdealer überführt. Und nicht jeder, der online komische Chemikalien bestellt, muss einer sein, das wussten wir ja vorher. Wenn Munir es nicht schafft, jemandem sein Selbstgekochtes abzukaufen, dann spricht alles dafür, dass derjenige wirklich nichts hat. In Gedanken strich Dengelow den Namen Weissenthal von seiner Liste. Blieben noch drei oder vier potenzielle Sprengstoffdealer. In ein paar Tagen würde Munir die Liste abgearbeitet haben. Dann würde Dengelow seinen Bericht verfertigen, und wer weiß, vielleicht würde es eine Pressekonferenz geben oder Dengelow ein paar freundliche Worte vom Präsidenten zu hören bekommen. Sein V-Mann natürlich nicht, aber das war das Los dieser merkwürdigen Sorte Menschen.
    Dengelow ging wieder ins Bett und schlief sofort ein.

[Menü]
IV
    Es war Montagmorgen um drei Minuten nach neun, als Sumaya klar wurde, dass ihr der erste Fehler an ihrem ersten Arbeitstag schon unterlaufen war, bevor sie auch nur einen Schritt in das Abgeordnetenbüro von Lutfi Latif getan hatte, das im 4. Stock des Jakob-Kaiser-Hauses lag, einem jener Beton-und-Glas-Parlamentsgebäude in der Umgebung des Reichstags zwischen Brandenburger Tor und Spree. Denn natürlich hätte sie den Globus lesen müssen, bevor sie ins Büro kam. Wie hatte sie nur das ganze Wochenende über nicht daran denken können? Spätestens heute Morgen hätte sie den Globus beim Frühstück lesen müssen. Es hätte sogar gereicht, wenn sie heute Morgen Deutschlandradio gehört oder das Morgenmagazin im Fernsehen angeschaut hätte. Oder auf dem Weg von Kreuzberg ins Regierungsviertel eine