Radikal
weltweitenBruderschaft der Terror-Sympathisanten. Vielleicht sollte er heute darüber bloggen?
»Das Versprechen wird eingehalten werden«: Das wäre die prosaische, wörtliche Übersetzung der Überschrift. Es war aber der Inhalt, der von Bedeutung war. Die al-Qaida-Filiale im Maghreb vollzog in dieser Erklärung ihres Anführers, was Samson schon länger erwartet hatte: eine verklausulierte Anschlagsdrohung gegen Ziele in Europa . »Die Mudschahidin akzeptieren keine Grenzen außer jenen zwischen Glauben und Unglauben. Es gibt keine Staaten. Es gibt nur Einflusssphären des Glaubens und solche des Unglaubens, und die Mudschahidin treten in die zweite Sphäre ein, um die erste Sphäre zu vergrößern, mit der Erlaubnis Gottes. Seid aber gewiss, dass die Mudschahidin niemals einen Fußbreit des Gebietes verloren geben, das sie einst beherrschten und mit der Erlaubnis Gottes wieder beherrschen werden.«
Wie hatte die Brünette gesagt? Es komme nicht auf das Handeln, sondern auf das Denken an?
Es dauerte etwa eine Stunde, bis Samson aus der sperrigen Erklärung einen Blog-Eintrag gefertigt hatte, der auch für interessierte Laien verständlich war. Seit drei Jahren betrieb er nun schon www.derkleinejihad.com. Unter seinem echten Namen. Für sich selbst betrachtete er es vor allem als ein Arbeitsjournal, ein Tagebuch des Terrors: Jede Bin-Laden-Rede, jede Sawahiri-Äußerung, jede Predigt von Abu Jahja al-Libi, jedes wichtige Bekennerschreiben zu einem Anschlag wurden zu einem Eintrag. Öffentlich einsehbar waren Samsons kurze Erläuterungstexte mit den wichtigsten Zitaten und einer kleinen Einschätzung. In seinem internen System war aber jeweils das Original-Video oder die Tonaufnahme angehängt und einige Schlagworte verknüpft, damit er sich bei Bedarf schnell auf Stand bringen konnte. Manchmal schrieb Samson auch über erregte Debatten in den dschihadistischen Internetforen und Chatrooms, in denen er sich unter seinen Tarnidentitäten herumtrieb.
Das Blog hatte aber zusätzlich eine berechnete Funktion nach außen: Es war ein Nachweis seiner Qualifikation. Samson wusste, dass er oft schneller war als die Sicherheitsbehörden – und dass deswegen eine Menge Journalisten zu seinen regelmäßigen Lesern zählten. Und von denen wiederum erhielt er in der Folge Rechercheaufträge. Von einem Blog allein zu leben, war praktisch unmöglich. Aber von Zulieferungen für Zeitungen und Magazine schon – vor allem, wenn man sich den Mangel an Eitelkeit, sprich den Verzicht auf eine Erwähnung in der Autorenzeile, in Euros umrechnen ließ. Samson war es nicht wichtig, dass sein Name irgendwo stand.
Er fügte noch einen Screenshot des al-Qaida-Chefs von Nordafrika ein, dann stellte er seinen Blog-Eintrag online.
Lena war nicht gekommen.
Noch dieses Glas Whiskey austrinken, dann würde er ins Bett gehen.
Samson hatte keine Lust, den Tag noch einmal zu überdenken. Trotzdem wanderten seine Gedanken wieder zu dem Treffen in Zehlendorf. Er hätte viel deutlicher auftreten müssen, dachte er. Ihnen sagen, was sie waren: eine Horde aufgeblasener Islamhasser. Mahomet! Fast hätte Samson gelacht. Auf der anderen Seite: Gab es die Verrückten und Verlogenen etwa nicht, von denen sie gesprochen hatten? Und wurden die etwa nicht immer mehr? Ja, aber. Manchmal kam es Samson vor, als bestehe seine ganze Arbeit darin, diesen Satz zu variieren: Ja, alle ihre Vorurteile sind richtig, aber … Oder auch: Ja, der Islam ist eine friedliche Religion, aber … Ja, aber. Wie hatte der Mann mit der Hornbrille gesagt? Dass es ein Luxus sei, ein differenziertes Bild zu zeichnen? Was für ein Arschloch.
Das Whiskey-Glas war leer. Samson merkte, dass er angetrunken war. Er merkte es daran, dass die Fragen wiedergekommen waren. Seit wann bin ich eigentlich so missgelaunt? So misstrauisch? So traurig? Er wollte gerade seine Rechner herunterfahren, als ein neuerliches Blinken auf dem heißen Monitor seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte. Es signalisierte eine neu eingegangene Chat-Nachricht. AbuJaqub hatte sich gemeldet. Samson korrespondierte bereits seit einem Jahr mit diesem Mann, hinter dem er einen saudischen Dschihadisten in Großbritannien vermutete, einen mit überaus starken Ambitionen, das Schlachtfeld des Dschihad persönlich aufzusuchen; offenbar dachte er dabei an Somalia oder eventuell den Jemen. Doch diese Nachricht betraf etwas anderes: »Bruder: Stimmt es, dass die Kuffar einen Mann, der sich als Muslim bezeichnet, in euer
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