Radikal
konnte nicht einmal einen Welpen niedlich finden. Jeder, dachte sie für sich, hat wahrscheinlich mindestens eine unerklärliche Macke.
Vor ein paar Monaten hatte Fadi festgestellt, dass immer mehr irakische Flüchtlingskinder in seinem Internetcafé aufgetaucht waren. Die Libanesen und die Palästinenser sprachen kaum mit ihnen, die Türken sowieso nicht. Aber Fadi sehr wohl. Er wollte alles über sie wissen. Und er begann, sie nach Hause zu begleiten, er hörte sich ihre Geschichten und die ihrer Eltern an. Es waren meistens schlimme Geschichten, in denen gefolterte Verwandte, Bohrmaschinen,Nägel und Bomben eine große Rolle spielten. Fadi aß mit ihnen, er fluchte mit ihnen und weinte mit ihnen. Einige der Geschichten hatte er später Sumaya erzählt, auf ihrem Balkon sitzend, wütend und aufgekratzt. Susu, es ist eine Schande, glaub mir, haram!
Und im Frühjahr hatte er begonnen, mit den Jungs Fußball zu spielen.
»Wieso machst du das eigentlich?«, fragte Sumaya ihn, als sie den Platz am Kottbusser Tor überquerten.
»Was meinst du?«
»Mit den Irakern Fußball spielen?«
»Weil ich gerne Fußball spiele.«
»Aber du hast doch eigene Freunde, und die sind auch verrückt nach Fußball. Wieso spielst du nicht mit denen? Wieso gerade mit den irakischen Jungs?«
»Das sind doch auch meine Freunde.«
Fadi war einige Jahre älter als die Jungs, die am Sportplatz schon auf ihn warteten und denen die Freude ins Gesicht geschrieben stand, als er mit Sumaya in ihr Blickfeld geriet. Die jüngeren rannten gleich auf ihn zu, die älteren lächelten und nickten ihm zu, und sie alle behandelten ihn wie einen großen Bruder, der nur ab und zu für sie Zeit hatte. Sie begannen sofort zu kicken, und Sumaya beobachtete von der Seitenlinie aus, wie die Jungs darauf erpicht waren, Fadi zu beeindrucken und so viel von seiner Aufmerksamkeit abzubekommen wie möglich. Als er sie lachend aufs Spielfeld winkte, kickte Sumaya sogar ein bisschen mit. Als sie vom Laufen außer Atem war, stellte sie sich als Torhüterin zur Verfügung. Sie beobachtete Fadi, der voll in dem Spiel aufging und ganz offensichtlich an nichts anderes dachte. Sie war stolz auf ihren Cousin.
Nach dem Spiel hatte Sumaya ihren Cousin zum Essen zu sich nach Hause mitgenommen. Sie hatte alles schon am Vormittag vorbereitet. Die Auberginen halbiert und im Ofen so lange gebacken, bis sie das weich gewordene Innere mit einem Löffel herausschaben konnte. Sie hatte es mit gehacktem Lammfleisch und Tomaten gemischt, mit Biharat gewürzt und dann noch geröstete Pinienkerne dazugegeben und alles in die Auberginenhälften gefüllt. Es war ein Gericht, das man auch lauwarm essen konnte, und sie hatte es darum einfach im Ofen stehen lassen. Ihre Tante Lubna hatte das Gerichtein paarmal mit ihr zusammen gekocht. Sie wusste, dass es in Berlin niemals so schmecken würde wie in Ramallah. Aber zumindest rein äußerlich war sie mit dem Produkt zufrieden, und das kleine Stück, das sie zuvor probiert hatte, hatte ihr jedenfalls geschmeckt.
»Du kochst echt abgefahren«, sagte Fadi, nachdem er einen Bissen genommen hatte, »aber ich liebe dich trotzdem.«
Er lachte. Sumaya lachte auch. Hatten sie überhaupt über ihren neuen Job gesprochen? Doch, in Andeutungen.
»Du bist nervös, Habibti , oder?«
»Ja.«
»Keine Angst, Susu. Du wirst schon wissen, was zu tun ist.«
»Ich hoffe.«
»Hör mal, ich bin stolz auf dich. Auch wenn ich ein paar Sachen etwas anders sehe als dein Chef.«
Und nun war es so weit. Langsam zog Sumaya einen Stapel DIN – A4-Blätter aus dem Umschlag. Sie las die erste Zuschrift, und ihr wurde klar, dass ihr eine Reise in das Reich der Finsternis bevorstand.
Du bist der Schlimmste der munafiqun, der Heuchler, du gibst dich als Gläubigen aus, aber dein Ziel ist die Erniedrigung des Islam. Du benutzt die Sprache der Feinde Gottes und du suchst ihre Gesellschaft, und deshalb bist du einer von ihnen. Du kriechst vor ihnen!!! Es wäre besser wenn du bekämpfst die Gläubigen offen, aber es macht nichts, es weiß auch so jeder, dass du ein Geschwür bist, und ich hoffe, dass Allah subhana wa taala deine Gedärme auf den Boden schmeißen wird. Und ich bin nicht alleine, alle denken so und deine Schande und dein Verbrechen wird bestraft werden.
Was war das? War das eine Morddrohung? Oder wünschte sich jemand bloß, den Abgeordneten tot zu sehen? Gab es da überhaupt einen Unterschied? Sumaya las die E-Mail langsam noch einmal durch. Sie schloss
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