Radikal
reden würde, der mir die Grundzüge meiner Kultur erklärt.«
»Also, Herr Sonntag, das würde ich so nicht sagen«, entgegnete Sumaya al-Shami. »Erstens bin ich selbst Deutsche. Zweitens wissen Sie, glaube ich, wirklich mehr über eine bestimmte Gruppe von Leuten, die meine Religion teilen und meine Muttersprache benutzen, als ich. Aber drittens«, an dieser Stelle machte Sumaya al-Shami eine Kunstpause, bevor sie unter Lachen weitersprach,»haben Sie natürlich absolut recht. Ich fühle mich in Gegenwart von Arabisten und Islamwissenschaftlern jedenfalls immer ein bisschen wie beim Frauenarzt.«
»Na, dann ist das ja geklärt«, sagte Samson.
»Ja, das ist es«, antwortete Lutfi Latifs Mitarbeiterin.
Als wäre etwas aus dem Weg geräumt worden, kam Sumaya al-Shami nun endlich auf den eigentlichen Grund des Treffens zu sprechen. Er habe ja sicher im Globus gelesen, begann sie, dass der Abgeordnete bedroht werde. Jedenfalls habe Lutfi Latif sie gebeten, jemanden zu engagieren, der zum einen Blick auf die bereits eingegangenen und die möglicherweise noch kommenden Drohbriefe wirft und zum anderen die Bedrohungslage im Allgemeinen laufend einschätzen hilft. Und dass sie, nach einigem Herumfragen und Herumrecherchieren, auf sein Blog gestoßen sei.
Nun war es Samson, der nickte. Natürlich hatte er Merles Artikel gelesen. Und er hatte auch selbst schon Hinweise darauf gefunden, dass der Abgeordnete sich zu einer veritablen Hassfigur in der dschihadistischen Szene entwickelt hatte.
»So weit, so klar?«
»Ja.«
»Es gibt aber noch etwas«, fuhr Latifs Mitarbeiterin fort.
»O. k. Und das wäre?«
»Nazis.«
»Aha. Und sind das auch Todesdrohungen?«
»Wenn die anderen welche sind, dann ja.«
»Das ist allerdings überhaupt nicht mein Spezialgebiet.«
»Ich weiß. Aber das ist immer noch nicht alles.«
»Was kommt denn jetzt noch?«
»Islamhasser.«
»Das ist nicht sonderlich überraschend, würde ich sagen. Oder?«
»Na ja, klar. Ich kann Ihnen im Moment leider nicht alles sagen, was wir vermuten oder was uns beschäftigt. Aber kennen Sie sich mit denen vielleicht auch aus?«
Samson nahm einen Schluck von seinem Bier und überlegte kurz, ob er ihr von dem Salon berichten sollte, zu dem Stefan ihn eingeladen hatte. Doch er entschied sich dagegen. Wie sollte er ihrerklären, dass er bei so einem Treffen gewesen war, ohne dass sie ein falsches Bild von ihm bekommen würde?
»Eigentlich kenne ich mich mit denen nicht gut aus«, antwortete er stattdessen. »Ich meine, man kommt ja an denen nicht wirklich vorbei. Aber ich schätze, mein Wissen ist da eher oberflächlich.«
Er sah, dass sie enttäuscht war.
»Verstehe. Trotzdem. Falls Sie den Auftrag annehmen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie diese anderen Drohungen so gut es geht mit abzudecken versuchen.«
»O. k. Klar. Das würde ich machen.«
Mit Bedauern nahm Samson wahr, dass die länger werdenden Schatten der Kastanienbäume mittlerweile ihren Tisch eroberten. Nur die Augen von Sumaya al-Shami schienen das schwindende Licht irgendwie zu bewahren. Er hätte gerne noch etwas Interessantes oder Besonderes gesagt, aber ihm fiel nichts mehr ein. Sie standen beide auf. Immerhin brachte er die Erhabene zum Lächeln, als er ihr auf Arabisch eine Gute Nacht wünschte.
»Ich heiße übrigens Sumaya«, sagte sie, bevor sie sich auf ihr Fahrrad schwang. »Wir können uns gerne duzen.«
»Sehr gerne. Ich bin Samson«, sagte Samson. »Aber eigentlich heiße ich Samuel.«
Mittlerweile hatte die Drift Samson fast bis ans Ende des Wracks getragen. Erneut fischte er nach seinem Finimeter. Der Anzeige zufolge hatte er schätzungsweise noch eine Viertelstunde, bevor er sich auf die Suche nach Thorben begeben musste, um den gemeinsamen Aufstieg einzuleiten.
Thorben war Historiker, arbeitete an der Universität von Greifswald und kam fast jeden Tag und definitiv jedes Wochenende zum Tauchen her. Viel mehr wusste Samson nicht über ihn, denn Thorben redete nicht viel. Aber weil Thorben nicht viel von dem Buddy – Arrangement hielt und lieber für sich war, hatte sich zwischen ihm und Samson eine Dauertauchpartnerschaft entwickelt. Die Ostsee war kein ruhiges Gewässer. Die grundsätzlich schlechte Sicht und der mitunter starke Wellengang waren eine Herausforderung, derentwegen unerfahrene Taucher von der hiesigen Tauchbasis ausgeschlossen wurden. Aus denselben Gründen achteten die Betreiberdarauf, dass niemand alleine tauchte. Samson und Thorben taten
Weitere Kostenlose Bücher