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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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diesen Regeln Genüge, in dem sie gemeinsam ins Wasser gingen und gemeinsam auftauchten, in dem Wissen, dass sowieso niemand ernsthaft nachvollziehen konnte, wie sie es unter Wasser hielten. Danach reinigten sie in der Regel gemeinsam ihr Equipment, tranken ein Bier zusammen und trugen mit Kugelschreibern »U-Boot-Wrack   /   14 Meter   /   45 Min« in ihre Logbücher ein. Dann tauschten sie die Hefte, ergänzten ein »Danke, Samson« beziehungsweise »Danke, Thorben«, und tranken ihr Bier aus.
    Die Tauchbasis bestand aus wenig mehr als einer überdimensionierten Doppelgarage etwa 100 Meter vor dem Strand, in der Tauchequipment an Haken von der Decke baumelte, Sauerstoff auf Flaschen gezogen werden konnte und eine Dusche und ein WC bereitstanden. Der Rest des durch einen Zaun abgetrennten Grundstücks wurde als Campingplatz definiert, damit Besucher, die einen »Wochenend-Schnupperkurs Wracktauchen« gebucht hatten, ihr Zelt aufschlagen konnten. In einem alten Wohnwagen neben der Garage fand sich eine Art Rezeption, die zugleich als Bar und Imbiss fungierte. Es gab Bockwürste auf ungetoastetem Toast und tschechisches Bier in 0,5-Liter-Flaschen. Vor dem Wohnwagen standen je zwei grobe Holztische mit angeschraubten Holzbänken, an denen auch Samson und Thorben stets ihr Bier tranken.
    Samson tauchte langsam um den Rumpf des Bootes herum, weil er wusste, dass Thorbens bevorzugter Tauchplatz auf dieser Seite lag. Als er ihn erblickte, hielt er einen Daumen in die Höhe; Thorben erwiderte das Zeichen. Als sie gemeinsam auftauchten, musste Samson daran denken, wie er mit Thorben im vergangenen Sommer beim Bier auf der Holzbank gesessen hatte und der Historiker ihn zum ersten und bislang einzigen Mal richtig überrascht hatte. An jenem Tag war bekannt geworden, dass ein Konvertit aus Rostock sich in Afghanistan bei einem Anschlag gegen Nato-Truppen in die Luft gesprengt hatte. Samson erinnerte sich genau. Sie tranken Staropramen aus der Flasche und blickten auf das Wasser, als die Meldung im Nachrichtenüberblick auf Antenne Mecklenburg-Vorpommern kam, dem Lieblingssender von Sylvia, die mit ihrem Mann Walter zusammen die Tauchbasis betrieb und die das Radio stets laufen ließ, wenn sie Dienst in dem Imbisswagen hatte.
    »Mein Gott, ich werde nie begreifen, wie man sich in die Luft sprengen kann. Nicht mal für 70 Jungfrauen. Das ist doch ein kranker Glauben, mal ehrlich«, kommentierte sie die Nachricht aus dem Wagen heraus.
    »Quatsch«, entgegnete Thorben, ohne sie auch nur anzuschauen, und setzte die Flasche an den Mund.
    »Was?«, fragte Sylvia.
    »Stauffenberg«, sagte Thorben.
    »Was?«
    »Graf Stauffenberg, 20. Juli 1944, der Widerstandskämpfer. Er wollte sich neben Hitler in die Luft sprengen. Ein gescheiterter Selbstmordattentäter.«
    »Das ist ja wohl was ganz anderes!«
    »Finde ich nicht, Sylvia.«
    Heute würde er leider keine Zeit für ein Bier haben, sagte Samson zu Thorben, als sie die Ausrüstung in einem riesigen Plastikfass mit Süßwasser ausspülten.
    »Kein Problem«, sagte Thorben.
    Samson raffte seine Sachen zusammen, stopfte sie in die blaue Plastikwanne und ging zu seinem Auto. Er wollte schnell zurück nach Berlin. Er ging zwar davon aus, dass Lutfi Latifs Büro mindestens mit dem Bundeskriminalamt und den anderen Sicherheitsbehörden in Kontakt stand. Aber es könnte nicht schaden, wenn er selbst noch ein bisschen herumstocherte. Und zwar so bald wie möglich.
    ***
    Ansgar Dengelow hielt sich an die Regeln. Außer da, wo er es nicht tat. Er war lange genug dabei, um genau zu wissen, wie weit er gehen konnte. Es war für ihn dabei von Vorteil, dass sein Karrierewillen endlich war: noch ein, zwei Klimmzüge vor der Pensionierung in fünfzehn Jahren, nicht zu viele Kollegen unter sich, nicht zu viele Chefs über sich, damit war er zufrieden. Aber das hieß nicht, dass Ansgar Dengelow kein reges Interesse an dem hatte, was sonst wo innerhalb des BKA und in den anderen Sicherheitsbehörden los war.Im Gegenteil. Über die Jahre hatte er sich ein kleines Netz an privaten Informanten aufgebaut, mithilfe kleiner Gefälligkeiten, einer Empfehlung hier, einem guten Wort da oder unter Ausnutzung der Unerfahrenheit jüngerer Kollegen, »nun haben Sie sich doch nicht so, wir sitzen doch alle im selben Boot!«.
    Wenn er – wie jetzt – früh am Morgen in seinem Büro in dem Hochhaus am Treptower Hafen mit Blick auf die Spree seinen Rechner hochfuhr und seine E-Mails las, waren daher stets auch

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