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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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Waffen, aber freilich nur zur Verteidigung und mit festen Regeln, und nur unter engen Maßgaben verpflichtend. Denn der Islam, hatte er nicht auch das gelernt, ist eine Religion, die den bewaffneten Kampf zu meiden trachtet. Ja, so hatte er es gelernt. Hatte er es auch so erfahren? Ja. Aber . Die meisten Muslime, die er kannte, waren so friedlich wie Rehe beim Anbruch des Morgengrauens in einem Walt-Disney-Film. Aber was hieß das schon? Es heißt gar nichts, dachte Samson, und dachte dabei an das letzte Abendessen mit Mohammed. Die meisten waren eben nicht alle, dachte Samson weiter, und manche lebenden Muslime waren jetzt tote Muslime. Und manche Nichtmuslime waren ebenfalls tot. Darum derkleinejihad.com .
    Natürlich gab er Lutfi Latifs Mitarbeiterin eine bedeutend kürzere und unvollständige Erklärung, hoffte aber trotzdem, dass aus ihr hervorging, dass er eine rudimentäre Vorstellung von islamischer Theologie hatte.
    »Ich verstehe«, sagte Sumaya al-Shami.
    »Ist vermutlich kein besonders guter Name«, antwortete Samson zur Sicherheit.
    »Ich finde ihn jedenfalls besser als viele andere«, entgegnete sie. »Nicht so alarmistisch. Auch wenn ich sozusagen wegen eines Alarms hier bin.«
    Sumaya. Wie bei jedem arabischen Namen fahndete Samson unwillkürlich nach der Bedeutung. Kaum ein arabischer Name hatte keine Bedeutung. Najih: der Erfolgreiche. Ghazi: der, der auf Beutezug geht. Lutfi, aus gegebenem Anlass: der Freundliche. Latif: andere grammatikalische Form, im Grunde aber dieselbe Bedeutung. Mohammed: der Gepriesene. Aber Sumaya? Die gesamte Fahrt zum Prater hatte er dem Namen keine Bedeutung zuordnen können. Doch jetzt, als er ihr gegenübersaß, fiel es ihm ein. Er müsste zur Absicherung natürlich ein Wörterbuch konsultieren, aber er war sich fast sicher, dass es sich um irgendeine Ableitung von Sama’ , der Himmel, handeln könnte. Die Himmlische? Die Hochstehende? Die Erhabene? Irgendetwas in der Richtung bestimmt, dachte er, während er für sich selbst ein Bier und für Sumaya al-Shami eine Fanta holen ging.
    Als er mit den Getränken wieder Platz genommen hatte, kam Lutfi Latifs Mitarbeiterin immer noch nicht auf den Grund ihres Treffens zu sprechen, sondern fragte als Nächstes nach seinen Arbeitsmethoden. Sie wollte wissen, was er eigentlich tat, wie er vorging und worauf er seine Analysen stützte. Außerdem bat sie ihn, einige seiner Kunden und Auftraggeber zu nennen. Offenbar war sie sehr gewissenhaft. Samson betrachtete ihre Hände, während er darüber Auskunft gab, welche Zeitungen und Magazine er gelegentlich belieferte, dass er aus Prinzip nicht mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeitete und warum er glaubte, dass es sinnvoll warmitzulesen, wenn Dschihadisten sich unter sich wähnten. Sumaya al-Shami hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und ihren Kopf auf ihre verschränkten Hände gelegt. Sie waren sehr feingliedrig und sahen aus wie aus einem leichten, weichen, braunen Holz geschnitzt. Es waren sehr schöne Hände, fand Samson.
    Die meiste Zeit über nickte Sumaya al-Shami, während sie ihm zuhörte. Manchmal lächelte sie auch. Aber Samson sah, dass sie ihm zugleich nicht ohne Misstrauen begegnete und dass ab und an ein Hauch von Spott um ihre Mundwinkel spielte oder ihre Stirn sich für Bruchteile einer Sekunde in Falten legte. Als würde sie ihn durchschauen und ahnen, dass sein Arabisch nur mittelmäßig war und er sich jede E-Mail und jedes Posting, das er an seinem heißen Rechner tippte, mühsam abrang. Dass seine Kenntnisse in islamischer Geschichte, Literatur und Theologie riesige Lücken aufwiesen. Dass er sich, schonungslos betrachtet, durchmogelte. Es war ihm nicht einmal peinlich, dass sie ihn womöglich durchschaute. Allerdings wollte er nicht, dass sie ihn für einen Angeber hielt.
    »Frau al-Shami«, sagte er daher, als sich ihre grünen Augen gerade wieder einmal zu einem Schlitz verengten, »ich glaube, ich weiß, was Sie gerade denken.«
    »Ach ja? Was denn?«
    »Sie denken gerade: O nein, nicht noch einer von diesen diplomierten Falafel-Experten, die ihre Magisterarbeit über die Präposition ›bi‹ im Wandel der Zeit oder das Münzwesen im Transoxanien des 13. Jahrhunderts geschrieben haben!«
    Sumaya al-Shami hatte gerade einen Schluck Fanta genommen, an dem sie sich nun verschluckte, weil sie lachen musste. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Na ja, ich fände es auch komisch, wenn ich als Deutscher mit einem ägyptischen Germanisten in Kairo

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