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Radikal

Radikal

Titel: Radikal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yassin Musharbash
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Informationen darunter, die er auf dem offiziellen Dienstweg nicht erhalten hätte.
    Die Ausbeute an diesem Tag war nicht schlecht. Der Bundesnachrichtendienst warnte in einem internen Rundschreiben vor einem USB – Stick einer bestimmten taiwanesischen Marke. Die Herstellerfirma war offenbar vom chinesischen Geheimdienst unterwandert worden; jedenfalls enthielt der Stick einen ab Werk eingebauten Trojaner. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte drei weitere syrische Agenten enttarnt, die sich in Frankfurt als Studenten eingeschrieben hatten. Der Berliner Staatsschutz hatte Ermittlungen wegen großflächiger Aufkleber aufgenommen, die an den Fassaden dreier Moscheen in Kreuzberg, Neukölln und im Wedding aufgetaucht waren. Ein mitgeliefertes Kurzgutachten erläuterte den Hintergrund. Demnach waren auf den Aufklebern in arabischer Kalligrafie entweder die Worte »Allahu Asghrar« aufgedruckt, also »Allah ist kleiner«, oder » La Mohammad Rasul Allah«, also »Mohammed ist nicht der Prophet Gottes«.
    Eine klare Provokation, schrieb ein gewisser Kriminalkommissar Zimmermann, Islamwissenschaftler. Denn es handle sich dabei um eine Verballhornung des ersten Satzes des islamischen Gebetsrufes, »Allahu Akbar« oder »Allah ist groß (Variante: größer)«, beziehungsweise eine Verneinung des zweiten Satzes des islamischen Glaubensbekenntnisses. Zimmermann, den Dengelow nicht kannte, schrieb weiter, dass die Aufkleber »offenkundig darauf ausgelegt sind, empörte Reaktionen und möglicherweise Überreaktionen unter den Moscheebesuchern auszulösen«. Noch gebe es keine Hinweise auf die Verantwortlichen, stand in dem Vermerk. Infrage käme möglicherweise der Tatbestand der Volksverhetzung.
    Diese Provokationsspirale würde man im Auge behalten müssen,dachte Dengelow, während er auf den Frühnebel über dem Fluss und auf ein träge dümpelndes Hausboot blickte. Denn das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz, das wusste er aus einer weiteren vertraulichen E-Mail, hatte von einer möglicherweise interessanten Gruppe von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Kreuzberg und Neukölln erfahren, die es sich mutmaßlich zum Ziel gesetzt hatte, »Personen auszukundschaften, die sich dem Islam gegenüber kritisch äußern«. Die Gruppe nenne sich offenbar »Riqaba«, was, wie das auch hier angehängte Schnellgutachten eines Islamwissenschaftlers erklärte, so viel wie »die Beachtung/Einhaltung (des göttlichen Willens)« heiße, »Variante: die Beobachtung«. Diese Information sei »dienstlich bekannt« geworden. Dengelow wusste, was diese Formulierung verschleiern sollte: Ein Zuträger hatte es den Verfassungsschützern gesteckt. Wahrscheinlich für Geld, vielleicht auch, weil sie ihn unter Druck gesetzt hatten. Mit ziemlicher Sicherheit aber nicht aus Überzeugung. Weitere Details zu der Truppe gab es nicht. Waren es Islamisten, die sich da zusammentaten? Der Vermerk enthielt keine eindeutigen Anhaltspunkte.
    Dengelow machte sich an der kleinen Espressomaschine auf dem Beistelltisch, die seine Frau ihm letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte, einen Kaffee. Durch die Bürotür hindurch konnte er hören, wie die ehrgeizigeren unter den Kollegen einer nach dem anderen eintrafen. Es war noch nicht ganz halb acht. Dengelow war heute so früh gekommen, weil er nicht zu Hause geschlafen hatte, sondern in einem billigen Hotel am Ostkreuz. Kein Familienfrühstück, das ihn aufhielt. Kein »Machst du die Stulle für Leo, bitte?« oder »Ansgar, wann kommst du heute nach Hause, weißt du das schon?«. Auch heute würde er wieder dort schlafen.
    Er hatte keine Ahnung, ob seine Ehe noch zu retten war. Er wusste nicht einmal, ob ihn das besonders kümmerte. Agnes hatte einen Liebhaber gehabt. Na und? Das war es nicht, was ihn umtrieb. Sie schliefen ohnehin seit Jahren kaum je miteinander, und er selbst war auch nicht immer treu gewesen. Doch Agnes war offenbar so schockiert über sich selbst, dass sie das Gefühl hatte, ihre Tat müsse krasse Konsequenzen haben. Trennung, Drama, Scheidung, lange Phase der Zerknirschung – noch war nicht ausgemacht, welcheMöglichkeit sie präferierte. Mit einem gewissen Mitleid beobachtete er seit der großen Offenbarung, dass seine Frau viel stärker litt als er. Andererseits war ihm etwas klar geworden. Er würde für genau eine Sache kämpfen, und das war nicht seine Ehe, sondern die Illusion eines Zuhauses. Das gemeinsame Haus, das Leben mit Leo – das sollte unangetastet bleiben. Das

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