Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Grammatik besorgt haben, da er uns seit Tagen mit peinlichen Fragen löchert. So wollte er von Fausto wissen, was ein Oxymoron ist. Der wiederum – ich sehe ihn direkt vor mir – hat ihm eiskalt erklärt, dass es drei wichtige Armknochen gibt, die da heißen: Elle, Speiche und eben Oxymoron. Eigentlich finde ich es nicht gut, Samuel einen Bären aufzubinden, aber es ist stärker als ich. Ich kann einfach nicht zugeben, etwas nicht zu wissen. Und als er mich nun fragt, was ein Anakoluth ist, heiße ich ihn schweigen und schaue mich verlegen um.
»Samuel, du musst aufpassen, was du sagst! Anakoluth ist ein hässliches Wort!«, sage ich.
»Das ist nicht möglich, ich habe es doch gelesen …«, erwidert er zerknirscht.
»Mag schon sein. Aber dann musst du eben noch sorgfältiger auf deine Lektüre achten. Anakoluth – nein, das kann man wirklich nicht sagen!«
Ich ziehe eine Anthologie der italienischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts aus dem Regal, die wir unten in einem Schrank gefunden haben, ein dicker Wälzer mit mehr als vierhundert Seiten.
»Lies das hier. Schau es dir genau an, und lass dir ruhig Zeit damit. Und wenn du es gelesen hast, kannst du mir alle Fragen stellen, die dir einfallen.«
Samuel nimmt das Buch in die Hand, dreht es hin und her und bewundert seinen Umfang.
»Ist das ›ein einzigartiges Werk seiner Gattung‹, eine ›Sammlung, die man unbedingt gelesen haben sollte‹?«, fragt er mich.
»Ja, Samuel.«
Mein Problem ist, dass meinen Handlungen zumeist das falsche Motiv zugrunde liegt. Ich habe Samuel das Buch nur gegeben, um ihn für eine Weile los zu sein. Schade. Hätte ich es ihm gegeben, um ihn glücklich zu machen, könnte ich mich jetzt unbeschwert an dem wunderbaren Lächeln erfreuen, das er mir schenkt.
Elisa hat das Menü für unsere Gäste fertiggestellt und trommelt uns alle zusammen. Während Abu in den Garten hinausgeht, um Gemüse zu ernten, verteilen wir die restlichen Aufgaben unter uns. Als ich anbiete, mit Elisa ins Dorf zu fahren, muss ich mir von den drei Blödmännern hämisches Gelächter gefallen lassen. Ich tue so, als bekäme ich ihr ironisches Grinsen hinter meinem Rücken nicht mit, während ich ins Auto steige.
Die Fahrt ins Dorf gleicht einer ausgelassenen Landpartie. Wir schmettern Lieder aus vollem Hals, lachen über den chaotischen Verkehr und hupen ohne besonderen Grund wie alle anderen auch. An einer Kreuzung allerdings erweisen wir einem Verkehrspolizisten den nötigen Respekt und halten sofort an. Trotz der wütenden Beschimpfungen der anderen Autofahrer fahren wir erst weiter, nachdem er uns passieren lässt.
Während wir darauf warten, dass der Metzger die Lammkoteletts zerteilt, spüre ich plötzlich Elisas Hand auf meiner Schulter. Es ist eine unschuldige, vielleicht sogar unabsichtliche Geste, aber ich will mir dieses Gefühl für immer einprägen. Es ist das erste Mal, dass sie mich berührt. Wenn ich an die lange Zeit denke, die wir bereits miteinander verbracht haben, kommt mir dies absurd vor. Ich habe noch nie so viel mit einer Frau geredet, vor allem noch nie mit einer, die ich so sehr begehrt habe und mit der ich unbedingt schlafen wollte. Bei den anderen Frauen habe ich immer nur das Nötigste gesagt und getan, um sie ins Bett zu bekommen. Aber nicht aus Heuchelei. Ich habe mich nur an die Spielregeln gehalten, die besagen, dass eine bestimmte Anzahl von Schritten erfolgt sein muss, ehe eine Frau den männlichen Avancen, ohne schlechtes Gewissen zu haben, nachgeben kann.
Bei Elisa habe ich bisher alles falsch gemacht. Ich habe dieselben Taktiken wie bei den anderen angewendet, ohne mir im Klaren darüber zu sein, dass sie nicht ist wie die anderen. Sie beobachtet mich nicht, sie testet mich nicht oder stellt mir Fangfragen. Sie spricht, sie hört mir zu, und das ist alles. Nein, nicht ganz. Sie macht noch etwas anderes: Sie stellt mich bloß. Und das ist für einen, der es bei dem Gedanken an Frauen kaum erwarten kann, sich die Kleider vom Leib zu reißen, eine eher erschütternde Erfahrung.
Das Hackmesser des Metzgers saust auf die Knochen nieder. Elisa spürt, dass ich zusammenzucke, und lächelt mich amüsiert an.
66
Die ersten Gäste, die eintreffen, sind ein junges Paar in einem klapprigen Jeep. Doch dieses Mal hat nicht einmal Fausto etwas zu kritisieren. Morgen werden weitere acht Personen kommen, und wir werden ausgebucht sein. Das war noch nie der Fall.
Um zu vermeiden, dass wir unseren Gästen mit unserer
Weitere Kostenlose Bücher