Radio Miracoli und andere italienische Wunder
erschossenen Polizisten ins Gesicht zu sagen … Ach, leck mich doch!«, schimpfe ich.
Während er noch an seiner Antwort herumkaut, betätigt Sergio den Hebel, der die Hydraulik in Bewegung setzt. Die Kippbrücke fängt an, zischend in die Höhe zu steigen.
»Merkwürdig. Eigentlich habe ich dich für einen intelligenten Jungen gehalten …«, sagt Sergio, bricht aber plötzlich mitten im Satz ab.
Durch die Windschutzscheibe wird statt der Straße auf einmal der Sternenhimmel sichtbar. Langsam steigt der Kipplaster vorn in die Höhe
»Du Idiot, die Heckklappe!«, brüllt Sergio und unterbricht sofort den Kippmechanismus.
Ich habe vergessen, die zweite Haltevorrichtung der Heckklappe zu lösen, und statt auf den Boden zu rutschen, staut sich die ganze Ladung an der Bordwand. Vorsichtig beuge ich mich aus dem Fenster und stelle fest, dass wir mit den Vorderreifen ungefähr einem Meter über dem Boden schweben und uns in einem äußerst prekären Gleichgewicht befinden.
»Und jetzt?«, frage ich.
Sergio versucht, die Autotür zu öffnen, aber bereits die geringste Verlagerung seines Gewichts bringt den Laster gefährlich zum Schwanken. Claudio ist mittlerweile zur Salzsäule erstarrt.
»So eine gequirlte Scheiße. Wir müssen unbedingt wieder Gewicht auf die Vorderräder bringen … Schaffst du es, durch das Fenster zu steigen und dich auf die Stoßstange zu stellen?«
»Senk doch die Kippbrücke wieder ab!«
»Ich kann sie nicht absenken! Wenn wir es nicht schaffen, die Vorderräder langsam abzusenken, riskieren wir einen Achsenbruch! Jetzt klettere schon auf die Stoßstange!«
»Und wie, zum Henker, soll ich das machen?«
»Du hast uns den Scheiß eingebrockt, du bringst das wieder in Ordnung!«
Sergios Miene wirkt sehr überzeugend. Doch noch mehr überzeugt mich die drohende Aussicht, dass jemand uns sehen und die Polizei rufen könnte. Langsam schiebe ich erst den Kopf und dann die Schultern durch das Fenster, ehe ich mich auf den Rand setze, mich am Außenspiegel festhalte und ein Bein nachziehe. Der Laster wankt. Ich erstarre.
»Er bewegt sich!«, flüstere ich.
»Du musst dein Gewicht Stück für Stück nach vorn verlagern, sonst kippen wir um!«
Ich ziehe das andere Bein nach und stelle meine Füße vorsichtig auf das Trittbrett. Wie ein Segler am Ausleger verlagere ich dabei mein ganzes Gewicht nach vorn. Der Lastwagen scheint sich in der Tat ein wenig zu senken. Ich strecke ein Bein aus und taste mit der Fußspitze nach der Stoßstange. Dann schwinge ich mich am Seitenspiegel vorbei, packe einen der Scheibenwischer und stelle mein zweites Bein auf die Stoßstange. Auf meine Bewegung hin schaukelt der Lastwagen erst einmal nach hinten, ehe er endlich anfängt, langsam wieder nach vorn zu kippen. Als die Reifen fast Kontakt mit dem Boden haben, tauschen Sergio und ich ein zufriedenes Lächeln durch die Windschutzscheibe. Sergio startet den Motor und macht sich bereit, den Kippmechanismus in Gang zu setzen, doch plötzlich duckt er sich hinter das Steuer und schaltet alles wieder aus. Gestikulierend gibt er mir zu verstehen, dass ich mich vorsichtig umdrehen und ruhig verhalten soll. Auf der Straße kommt mit hoher Geschwindigkeit ein Auto auf uns zu. Jetzt sind wir geliefert. Vielleicht können wir uns irgendeine Geschichte einfallen lassen, aber die Ladung auf der Kippbrücke und die Position der Heckklappe sprechen Bände.
Als der Wagen abdreht und seine Scheinwerfer mich nicht mehr blenden, verliere ich definitiv jede Hoffnung, dass ich diese Situation glimpflich überstehen werde: Der Wagen gehört den jungen Burschen, die mich in jener Nacht querfeldein verfolgt haben. Er bleibt knappe zwei Meter von uns entfernt stehen. Angesichts der lächerlichen Position, in der ich mich befinde, fangen meine Beine zu zittern an. Ich stelle mir die überraschten Mienen der jungen Männer vor, ihr hämisches Grinsen und ihre Genugtuung, wieder einmal ein Opfer gefunden zu haben, um sich den Abend zu verschönern. Da ich nicht will, dass sie mein Gesicht erkennen, vermeide ich es, mich umzudrehen, und beschränke mich darauf, verstohlen aus dem Augenwinkel einen Blick auf den Kleinwagen zu werfen, aus dem ein junger Mann steigt. Seiner Statur nach zu schließen, ist es der, der mich damals fast eingeholt hatte. Einen Moment lang bleibt er, an die Fahrertür gelehnt, stehen, ehe er sie zuknallt und auf mich zukommt. Lautlos flehend bitte ich Sergio um Rat, was ich tun soll. Der Bursche muss entweder
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