Radio Miracoli und andere italienische Wunder
da das Geschäft gut läuft, das Schutzgeld zu bezahlen. Sechstausend Euro im Jahr sind schließlich keine große Summe im Vergleich zu unseren zukünftigen Gewinnaussichten. Wir könnten unseren Erfolg genießen und ruhig und unbehelligt leben. Doch genau das ist der springende Punkt. Ruhe in meinem Leben hatte ich genug all diese Jahre über. So viel Ruhe sogar, dass ich mir eher tot als lebendig vorkam.
Als die Besucher abfahren, sinkt Elisa ermattet auf das Sofa. Bereits in wenigen Stunden kommen neue Gäste, und wir beschließen, dass Elisa sich bis dahin ausruhen soll. Wir werden alles vorbereiten, doch zuerst ziehen wir uns in die Küche zurück, um uns mit Vito zu besprechen. Der Alte weiß, was wir von ihm wollen, und redet nicht lange um den heißen Brei herum.
»Die Situation ist beschissen, aber das war sie zuvor auch schon. Von dem Moment an, als ihr die beiden Burschen eingesperrt habt, habt ihr euch quasi euer eigenes Grab geschaufelt«, erklärt er uns.
»Und was wird jetzt passieren?«, frage ich.
»Woher soll ich das wissen? Es ist das erste Mal, dass jemand es wagt, Camorristi aus der Gegend zu entführen.«
Es ist auch das erste Mal, dass Vito das Wort Camorristi in den Mund nimmt. Dabei deutet er mit dem Kopf in Richtung Keller, als ginge ihn das nichts mehr an.
»Bis jetzt hat es nur eine Schießerei gegeben, und sie haben eine Lagerhalle abgefackelt. Kinderkram. Daran sieht man, dass sie die Flucht der Burschen letztendlich geglaubt haben. Aber das mit Franco ändert alles … die Familien werden sich gegenseitig beschuldigen.«
»Werden sie sich wieder bekriegen?«, fragt Sergio.
»Früher oder später bestimmt, und vielleicht denken sie dann gar nicht mehr an uns … an euch, meine ich. Aber wenn die Polizei sich einmischt, werden sich die Bosse an einen Tisch setzen. Sie werden sich aussprechen und den Grund für das mysteriöse Verschwinden ihrer Leute woanders suchen.«
»Wie viel Zeit bleibt uns?«, frage ich.
»Woher soll ich das wissen? Zuerst wird es Tote geben. Ein weiteres Zeichen könnte sein, dass ein neuer Staatsanwalt von außen kommt. Das kann bedeuten, dass der Staat aufrüstet und dass die Familien gezwungen sind, sich zu erklären.«
»Vielleicht könnten wir den Trick mit der SMS noch mal probieren.«
»Mit Franco? Das dürfte schwierig werden. Der Typ ist kein unwichtiger Mitläufer. Er war ziemlich ehrgeizig, und das haben auch alle gewusst.«
Ich weiß nicht, wie es den anderen geht, aber ich bin nicht so besorgt, wie ich es angesichts der Situation sein müsste. Eigentlich bin ich sehr gefasst. Wir machen schließlich das, was wir für richtig halten, und wenn es uns nicht gelingt, alle negativen Konsequenzen auszuschließen, dann eben nicht.
»Und außerdem hat Franco Familie«, fügt Vito hinzu.
»Familie im Sinne von …«, beginne ich.
»Er hat eine Frau! Eine entsetzliche Nervensäge. Die wird das ganze Dorf auf den Kopf stellen, bis sie ihn gefunden hat.«
Es schien so einfach. Die Camorristi kommen, wir stecken sie in den Keller, und damit hat es sich. Jedes Mal wenn ich einen lichten Moment habe, läuft es mir kalt über den Rücken.
»Er hatte auch noch ein Mädchen in München. Vielleicht könnte man sein Handy dorthin verschwinden lassen. Das würde den Verdacht ablenken, wenigstens für eine Weile.«
»Wie? Sollen wir vielleicht auch noch nach München fahren?«, fragt Fausto.
»Wir könnten natürlich einen Hinweis auf ihn auf der Hauptstraße hinterlassen. Seine Jacke, zum Beispiel. Aber wir wissen ja alle, was das bedeutet.«
Sergio nickt. Fausto und ich, die sich gerade den Gedanken an eine Stippvisite in München durch den Kopf gehen lassen, reagieren nicht. Sergio schaut uns an.
»Sie werden denken, dass er umgebracht wurde!«, fügt er hinzu.
»Dann wird es zum Krieg kommen, und es wird Tote geben«, fährt Vito fort.
»Aber die bringen sich ja jetzt schon gegenseitig um«, erwidert Fausto mit der Unschuld eines Kindes.
»So ist es«, stellt Sergio fest.
Jetzt fällt auch Vito auf, wie unaufgeregt wir reagieren. Uns fehlt der Adrenalinschub der ersten Versammlungen. Ich zum Beispiel bin von meinen Überlegungen abgelenkt, dass eventuell auch wir einen unterirdischen Gang graben sollten. So wie unter den Häusern der Bosse, aber nicht als Fluchtweg, sondern um dort nach und nach alle Camorristi, Mafiosi und sonstigen Mitglieder irgendwelcher ehrenwerten Gesellschaften für immer verschwinden zu lassen.
»Wir machen Folgendes,
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