Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
Vom Netzwerk:
angenommen, es gelänge uns, die Entführung von vier – ich wiederhole – vier Camorristi mit Notwehrrecht zu rechtfertigen, wie sollen sie uns dann beschützen? Wie stellt ihr euch das vor? Seht ihr denn nicht, wie beschränkt ihre Mittel sind?«
    Claudio biegt pfeifend und mit einem frisch gepflückten Blumenstrauß in der Hand um die Hausecke.
    »Jetzt lass das! Siehst du nicht, dass sie schon längst weg sind?«, schnauzt Sergio ihn an.

76
    Wir sind zwei Verliebte wie aus dem Bilderbuch. Den ganzen Tag über warten wir darauf, dass die anderen ins Bett gehen und wir endlich allein sind. Aber ist es dann so weit (und darin unterscheiden wir uns von den anderen), dann gehen wir hinaus auf die Wiese und fangen an zu reden. Es ist zwei Uhr nachts, und auch der letzte Gast hat dem Lockruf des Bettes nicht mehr widerstehen können. Erschöpft lassen Elisa und ich uns auf einer Decke nieder. Wolkenfetzen verschleiern den Mond, und dieses Schauspiel tröstet uns über das Fehlen jeglicher musikalischer Untermalung hinweg.
    »Warum hast du mir nicht gesagt, dass dein Vater tot ist?«
    »Ich rede nicht gern darüber.«
    »Ich würde wahrscheinlich nichts anderes tun. Sonst wäre ich ungenießbar.«
    »Das gelingt dir auch so schon recht gut.«
    Mein Handy klingelt und beleuchtet meine Hosentasche. Ich reagiere nicht, weil ich den ganzen Tag nichts anderes getan habe, als mir diesen Moment auszumalen. Eine eintreffende SMS war dabei nicht vorgesehen.
    »Nein, ich komme überhaupt nicht auf die Idee, mir die Frage zu stellen, wer dir um zwei Uhr nachts eine SMS schicken könnte«, sagt Elisa.
    »Und mir käme es nie in den Sinn, dir zu antworten: ›Das ist keine SMS . Mein Handy klingt immer so, wenn der Akku leer ist.‹«
    Trotzdem hole ich mein Handy aus der Tasche und schaue auf die Nachricht. Ich kenne nur einen Menschen, der vier Seiten lange SMS mit allen Punkten und Kommas an der richtigen Stelle versendet.
    »Die ist von Alice«, sage ich.
    »Zum Glück bin ich keine von den Frauen, die von dir wissen will, ob diese Alice eine deiner Exfreundinnen ist.«
    »Gut, weil ich nämlich einer von den Männern sein könnte, der dir erklärt, dass sie nur eine ehemalige Kollegin ist und aussieht wie eine Vogelscheuche.«
    »Wirklich ein Glück, denn dann müsste ich mich an dem Wort ›Vogelscheuche‹ stoßen und dich fragen: ›Wieso? Würde das etwas ändern, wenn sie hübsch wäre?‹«
    »Und ich müsste dir antworten: ›Du weißt doch, dass ich nur dich liebe.‹«
    »Langsam werde ich sauer.«
    »›Aber, nein, meine Liebe, du weißt doch …‹«
    »Nicht sie! Ich! Ich werde langsam ernsthaft wütend!«, brummt Elisa.
    »Alice ist meine Exverlobte«, erwidere ich.
    »Ja«, sagt sie.
    »Ich habe mich vor ein paar Monaten von ihr getrennt. Heute ist das erste Mal, dass ich wieder von ihr höre. Sie will nur wissen, wie es mir geht, aber ich glaube, dass sie es nicht schafft, einen Schlussstrich zu ziehen, und dass sie mich wiedersehen will …«
    »Ja.«
    »Und es ist auch verständlich, dass sie den Absprung nicht schafft … bei all den Lügen, die ich ihr aufgetischt habe. Sie ist eine intelligente Frau. Hätte ich ihr einfach die Wahrheit gesagt, hätte sie sich längst damit abgefunden. Es ist meine Schuld. Ich hätte ihr nur gestehen müssen, dass ich sie nicht mehr liebe, und ihr damit viel Kummer erspart. Aber wenn sich jemand sein ganzes Leben lang wie ein Idiot benimmt, merkt er es irgendwann gar nicht mehr …«
    »Ja.«
    Elisas letztes, ein klein wenig gedehnt ausgesprochenes »Ja« klang fast schon wie ein Seufzer. Deshalb rede ich hastig weiter.
    »Ich habe mir eingeredet, dass es eine reife Leistung von mir wäre, sie anzulügen. In Wirklichkeit wollte ich die Sache nur ohne Szenen hinter mich bringen und mir eventuell sogar noch ein Hintertürchen offenhalten, falls ich es mir einmal anders überlege. Was für ein Scheißkerl …«
    Elisa dreht sich zu mir und schaut mich müde und abgekämpft an. Dann schließt sie die Augen, breitet die Arme aus und lässt sich nach hinten ins Gras fallen.
    »Ein Scheißkerl und noch dazu unreif wie ein pubertierender Teenager«, füge ich hinzu.
    »Jaaaa«, ruft sie.

77
    Am nächsten Morgen treffe ich Elisa in der Küche. Wortlos mache ich mir einen Kaffee, den ich im Stehen neben ihr trinke. Durch das Fenster sehen wir, wie Sergio den letzten Gästen nachwinkt – einem Lehrer für Philosophie an einem Gymnasium in Livorno, der sich mit der hochgereckten,

Weitere Kostenlose Bücher