Radio Miracoli und andere italienische Wunder
immer bunter. Wir haben den Punkt erreicht, an dem mir nichts mehr einfällt. Stattdessen mache ich mir ernsthaft Gedanken darüber, was aus unserem Volk der Heiligen, Dichter und Denker geworden ist.
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Zuerst habe ich es bereut, mich auf diesen Streit mit Fausto eingelassen zu haben. Wegen eines Einwanderers, der mir im Grunde völlig egal sein kann, habe ich eine ohnehin schwierige Situation zusätzlich verschärft. Letzten Endes ist die Sache aber besser ausgegangen als erwartet. Fausto hat mir einen halben Tag lang die kalte Schulter gezeigt, dann aber den ersten Schritt getan und um ein Vier-Augen-Gespräch gebeten, um die Angelegenheit zu klären und mir seine Position zu erläutern. Die nachfolgende Diskussion glich einem strategischen Positionskampf, einem kunstvollen Ballett, bei dem wir – ein Schritt vor, einer zurück – versucht haben, uns gegenseitig zu beweisen, dass unsere Vorstellungen gar nicht so unähnlich sind, nur in winzigen Nuancen voneinander abweichen und dass wir folglich weiterhin Freunde sein können. Wir haben uns auf Herz und Nieren geprüft und unsere jeweiligen Ideale verbogen, soweit es ging, um auf einen größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ich muss gestehen, dass vor allem ich die meinen ziemlich verbogen habe. Letzten Endes haben wir uns auf eine Position geeinigt, die man mit Faustos Worten folgendermaßen zusammenfassen könnte: Neger sind durchaus okay, solange sie arbeiten. Aber bei der ersten Verfehlung sollen sie gefälligst zurück in ihren Kral fliegen, aber auf eigene Kosten, nicht mit dem Geld der Steuerzahler. Schwule sind ebenfalls in Ordnung; im Grunde sind sie auch nur Menschen wie du und ich, aber es wäre wünschenswert, wenn sie ihr Schwulsein darauf beschränkten, es in ihren eigenen vier Wänden auszuleben, und auf öffentliche Zurschaustellung verzichteten. Nur für die Zigeuner, bei aller Liebe, für die ist nichts zu machen. Die müssen dorthin zurück, woher sie gekommen sind, auch wenn sie in Italien geboren sind. Lediglich mit viel Pragmatismus ist es uns gelungen, eine Ausweitung der Diskussion auf die Ebene der Religion zu vermeiden, und folglich ist das Schicksal von Juden und Muslimen noch immer ungelöst.
Nachdem wir – nicht sehr effektiv – den ganzen Vormittag gearbeitet und uns zwecks Hebung der Moral dennoch gelobt haben, gönnen wir uns ein paar Minuten auf den Plastikstühlen, rauchen und bewundern die Aussicht. Mein Stuhl kippt ständig nach einer Seite, da eines der Beine einknickt, aber ich vermeide es, dieses Manko anzusprechen.
»Ich sage euch eines, ich bin sehr zufrieden«, meint Fausto.
»Ich nicht«, erwidert Claudio, der seit dem Aufstehen ein Nervenbündel ist.
»Ach, jetzt komm, Claudio, du musst an eine Sache glauben … dafür kämpfen, schwitzen, deine Überzeugungen mit Zähnen und Klauen verteidigen. Um ein Ziel zu erreichen, muss man zu jedem Opfer bereit sein!«
Was sich hier wie ein Gespräch zwischen zwei Heroen der italienischen Unabhängigkeitsbewegung anhört, ist in Wahrheit ein Dialog zwischen zwei Idioten, die sich verkalkuliert haben und nun ihren fahrbaren Untersatz werden verkaufen müssen, um diese Hütte hier zu renovieren.
»Mag schon sein. Aber damit habe ich abgeschlossen. Kein Geld mehr. Rutsch doch mal weiter rüber …«
»Wie meinst du das?«
»Rutsch mal mit deinem Stuhl weiter rüber. Du sitzt genau unter einem Ast voller Pinienzapfen. Ein Freund von mir hat sich auf diese Weise mal ein Schädeltrauma geholt.«
»Äh, na gut … wie auch immer, selbst wenn wir unsere Autos verkaufen müssen, um das Dach reparieren zu können, mehr Kohle werden wir nicht brauchen. Im Gegenteil, von nun an werden die Einnahmen nur so sprudeln«, sagt Fausto und lässt sich mit einem beglückten Lächeln auf seinen Stuhl zurückfallen, dessen Plastiklehne verdächtig laut knirscht.
Unsere Reaktionen sind mittlerweile sehr verhalten. Nur noch Fausto lässt sich hin und wieder zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Ansonsten warten wir alle gespannt auf den Moment, in dem wir uns und der Wahrheit ins Gesicht schauen müssen.
»Hoffentlich müssen wir nicht auch noch die Straße herrichten lassen«, überlege ich laut, als ich beobachte, wie ein kleiner roter Renault schlingernd über den Feldweg auf uns zuholpert.
»Die Straße ist absolut in Ordnung. Klar sind noch Vehikel aus dem letzten Jahrhundert unterwegs … Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, was für ein Genie am Steuer uns da mit seinem
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