Radio Miracoli und andere italienische Wunder
bringst du dich ebenfalls in Schwierigkeiten«, sagt Sergio zu Abu.
Der Afrikaner wirft ihm einen kurzen Blick zu und schaufelt weiter.
24
Wir sind mit Abu vor dessen Haus verabredet. Claudio lassen wir als Wache zurück, nicht etwa, weil wir so großes Vertrauen in ihn hätten, sondern wegen der dreifachen Ration Bier, die wir den Gefangenen spendiert haben. Als wir gegangen sind, haben sie tief und fest geschlafen. Außerdem sind Samuel und Alex da, die auf dem Dach arbeiten.
Wir laufen über die Tomatenfelder, folgen einem kleinen Pfad, der kaum von einer lichtlosen Mondhälfte erhellt wird, und überqueren die Landstraße in Richtung einer Gruppe niedriger Hütten, letzte Ausläufer der Ortschaft, bevor sich die Peripherie in der weiten Landschaft verliert. Die Straße ist nicht asphaltiert, und von den Laternen funktionieren nur zwei. Abus Haus liegt weit dahinter. Die letzten Meter legen wir deshalb im Dunkeln zurück, dann öffnet sich eine Tür und beleuchtet uns den Weg. Um nicht unnötig aufzufallen, warten wir, bis Abu aus dem Haus tritt, ehe wir uns wortlos hinter ihm einreihen. Erst als wir die Straße wieder verlassen haben und auf freiem Feld sind, holt Sergio den Afrikaner ein.
»Keine Gerüchte, alles ruhig bisher«, sagt Abu.
Abu ist unser Verbindungsmann im Dorf. Ihm und seinen Kontakten haben wir es zu verdanken, dass wir in Realzeit über die Stimmungen im Ort auf dem Laufenden sind und wissen, was am Tresen in der Bar geredet wird und was sich im Milieu so tut.
»Der Junge, den du niedergeschlagen hast, erinnert sich an nichts … aber du darfst kein Risiko mehr eingehen. Du hast schon genug getan«, meint Sergio.
»Ihr habt noch mehr riskiert. Warum geht ihr nicht weg von hier?«
»Jetzt noch nicht. Wir sind bis zum Hals verschuldet.«
»Was hast du in deinem Land eigentlich gearbeitet?«, fragt Fausto.
»Nichts.«
»Gab es keine Arbeit?«
»Nein, ich war … wie sagt ihr? … ein Häuptling. Ich hatte Diener, die für mich gearbeitet haben.«
»Ein Häuptling? Und du bist hierhergekommen, um wie ein Penner zu leben?«, fragt Fausto, unsere bösen Blicke ignorierend.
»Wäre ich geblieben, wäre ich ein toter Häuptling gewesen.«
»Hör mal, Häuptling, jetzt sag bloß noch, dass du auch studiert hast.«
»Nein, ich bin ein Krieger. Ich habe nie studiert.«
Ein Krieger. Klar ist er ein Krieger, ein Häuptling und Krieger. Das sieht man sofort, das ist in seiner DNA verankert. Wir tauschen rasch einen Blick. Sergio ist überglücklich, er ist stolz auf seine neue Freundschaft; Fausto überlegt noch, ob er Abu glauben soll oder nicht; ich weiß nicht so recht. Mit Sicherheit kann ich nur sagen, dass ich jetzt keine Angst mehr habe, in der Dunkelheit herumzustolpern.
Wir laufen über die Felder und folgen einer breiten, vierspurigen Straße, die funkelnagelneu und von hohen, strahlend hellen Peitschenlaternen gesäumt ist.
»Da hätten wir auch den Wagen nehmen können«, quengelt Fausto.
Nach ungefähr einem Kilometer endet die Straße plötzlich vor einem ein Meter hohen Erdwall, und dunkel ist es auch wieder. Nach einem weiteren Kilometer brachliegender Felder bleibt Abu mitten im Niemandsland stehen.
»Wir sind da«, sagt er.
Vor uns zeichnet sich, in der Dunkelheit kaum sichtbar, der Umriss eines großen, ovalen Gebäudes aus Stahlbeton ab. Es ist die klassische Bauruine, die der Lega Nord ausverkaufte Wahlkundgebungen beschert. Wahrscheinlich als kommunales Sportzentrum geplant, war darin erst das Nationale Olympische Komitee untergebracht, ehe das Gebäude zum Altentreff und schließlich zum Servicezentrum für Behinderte umfunktioniert wurde. Jetzt wird das Betonei nicht mehr benützt und ist sichtbar dem Verfall preisgegeben. Wir bahnen uns einen Weg durch das hohe Gras und erreichen die Umzäunung. Diese zu überwinden ist nicht schwierig, da nur noch die Pfosten stehen, an denen hier und da ein Stück verrosteter Maschendraht hängt. Als in einigen Kilometern Entfernung ein Hund zu bellen anfängt, schreckt Fausto zusammen und dreht sich um, als schnappte das Tier bereits nach ihm.
Die Eingangstür ist nur angelehnt, und Abu öffnet sie mit einem gezielten Fußtritt. Der Mond scheint durch die zerbrochenen Fenster ins Innere, das vollkommen leer ist. Abu knipst eine Taschenlampe an. Wir laufen über nackten Zement, da von dem ursprünglichen Bodenbelag aus Linoleum nur noch wenige Fetzen übrig sind. Die Holzbänke sind herausgerissen, und von den Tribünen ist
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