Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Jüngling klar.
Wieso ausgerechnet an Mariä-Himmelfahrt, frage ich mich, aber das ist nicht wichtig. Es zählt allein die Summe.
»Und das ist alles?«, hakt Sergio nach.
»Wir haben doch auch was davon, wenn eure Geschäfte gut laufen. Wir wollen nur unseren Anteil. Zweimal im Jahr, und basta.«
»Und wir zahlen an sonst keinen außer an euch?«
»An wen wollt ihr denn sonst noch bezahlen? Ihr zahlt an uns und macht eure Arbeit. Niemand wird euch belästigen. Und wenn ihr wegen der Genehmigungen eine kleine Empfehlung braucht, wendet euch ruhig an uns.«
»Tja, warum nicht!«, sage ich, um von Sergios Unheil verheißender Miene abzulenken.
Es funktioniert. Der Kerl dreht sich zu mir um und sieht folglich Sergios Faust nicht kommen. Er prallt gegen die Stuhllehne und schlägt mit dem Kopf gegen die hölzerne Tischplatte. Der plötzliche Faustschlag lässt mich aus dem Stuhl hochschrecken und einige Schritte zurücktaumeln, während der andere – der an dem Holzpfosten – nach einer Schrecksekunde ein Klappmesser aus der Tasche reißt und sich auf Sergio stürzt. Das Aufblitzen der Klinge eines langen Küchenmessers, ungefähr doppelt so gefährlich wie das Messer, das der Knabe in der Hand hält, überzeugt diesen jedoch, in seiner Bewegung innezuhalten.
»Lass das fallen, oder ich reiß dir den Arsch auf!«, schreit er.
Da Sergio gar nicht daran denkt, seiner Aufforderung nachzukommen, brüllt er seinen Freund an – »Saverio!« – und schüttelt ihn. Als der keinerlei Regung zeigt, tritt er erschrocken den Rückzug an.
»Was hast du getan! Du bist ein toter Mann, du Wichser!«
Als Sergio jedoch ein paar Schritte auf ihn zumacht, rennt er davon. Sergio schneidet ihm den Weg zu dem Motorroller ab, woraufhin der Flüchtende Hals über Kopf in Richtung der Tomatenfelder davonstürmt. Erst in diesem Moment bin ich wieder zu einer Reaktion fähig.
»Scheiße, die bringen einander noch um!«, rufe ich Fausto zu.
Wir rennen Sergio hinterher. Der ist aber inzwischen so außer Atem, dass sich sein Abstand zu dem Jungen immer mehr vergrößert. Ich überhole Sergio, verlangsame meine Schritte jedoch sofort, als ich bemerke, dass Fausto, ausgebremst von seinen Prada-Flip-Flops, nicht mehr nachkommt. Ich bin nun mal nicht der Typ, der sich allein einem mit einem Messer bewaffneten Verbrecher in den Weg stellt.
» Den holen wir nicht mehr ein!«, rufe ich.
Sergio bleibt stehen und hält sich die Milz. Der inzwischen weit vor uns laufende Junge dreht sich um und legt mit einem hämischen Grinsen eine imaginäre Pistole auf uns an. Das ist seine letzte Tat, bevor er zu Boden sinkt, niedergestreckt von Abus Schaufelhieb. Der Afrikaner schaut sich um. Dutzende, tief über die Tomatenpflanzen gebeugte Köpfe von Erntehelfern wenden sich diskret nach links und rechts ab. Abu wirft sich den Jungen über die Schulter, als wäre der eine Stoffpuppe, und kommt auf uns zu.
»Er hat uns den Arsch gerettet«, sage ich keuchend zu Fausto.
»Aber nicht umsonst. Darauf kannst du wetten«, erwidert er.
Wir hätten Vitos Gesichtsausdruck fotografieren sollen, als wir mit den beiden an Händen und Füßen gefesselten Jungen in den Keller kommen. Auf seinem Bett sitzend, beobachtet er wortlos jede unserer Bewegungen. Irgendwann kam es mir jedoch so vor, als sähe ich ein ungläubiges Lächeln über sein Gesicht huschen. Vielleicht täusche ich mich aber auch.
Bei Sonnenuntergang beginnen wir, zusammen mit Abu eine Grube für den Motorroller auszuheben. Dieses Mal graben wir in der Nähe der Garage, und die Giulia entzückt uns aus der Ferne mit schluchzenden Geigen. Wohl eine Art Ermahnung.
»Jetzt macht bloß keinen Scheiß, ja? Wir sollten lieber nachschauen, ob dieser Roller eine Alarmanlage hat!«, sagt Fausto.
»Klar doch, die Camorristi haben ja solche Angst, dass ihnen jemand ihren Roller klauen könnte!«, feixt Sergio.
Abu lächelt.
»Was gibt es da zu lachen?«, fragt Fausto, rüpelhaft wie immer.
»Diese Leute sind böse. Sehr böse.«
»Und was findest du daran so lustig?«
»Euch …«
Wir schauen uns an. Kein sehr tröstlicher Anblick. Sergio ist vielleicht noch halbwegs glaubwürdig, aber Fausto? Claudio? Und vor allem ich? Wir sind vier Krieger von der traurigen Gestalt, vier brave Burschen, die den Motorroller eines Camorrista vergraben, dabei aber darauf achten, den Lack nicht zu zerkratzen. Doch um mit diesen Leuten mithalten zu können, müssten wir das Gefährt in Salzsäure auflösen.
»Damit
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