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Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Radio Miracoli und andere italienische Wunder

Titel: Radio Miracoli und andere italienische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Bartolomei
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Denkweise so beeinflusst zu sein, dass nicht eines unserer Argumente eine Bresche in seine Abwehrhaltung hätte schlagen können. Und doch muss es bei ihm irgendwann »klick« gemacht haben. Ich würde viel darum geben, wenn ich wüsste, welche Geste oder welcher Satz das bei ihm ausgelöst hat.
    Vito blüht regelrecht auf. Er trinkt mit uns, als wäre er einer von uns, und schaut längst nicht mehr so grimmig. Aber der Gedanke, dass er getötet haben könnte, lässt mich nicht los und bedrückt mich. Ausgerechnet ich, der sich aus dem Wunsch heraus, mein Leben zu verändern, als Erster auf dieses Abenteuer eingelassen hat, vermag es nicht zu akzeptieren, dass einer wie er vom selben Wunsch beseelt sein könnte.
    Vielleicht ist die schmerzhafte Wahrheit viel einfacher. Wir denken, dass die Mafia existiert, weil sie immer schon da war und als unbesiegbar gilt. Aber es ist schlimmer, als wir glauben, denn die Mafia ist durchaus zu besiegen, weil sie nämlich nicht in der Lage ist, sich ein eigenes Territorium zu erobern, sondern nur dort gedeihen kann, wo die Gesellschaft versagt. Dort, wo die Familie, die Schule und der Staat ein Vakuum hinterlassen, stößt die Mafia vor. Tatsache ist jedoch, dass auch die Mafia Leerstellen hinterlässt, die gefüllt werden wollen. Und eigentlich müsste in diesem Positionierungskampf die Mafia den Kürzeren ziehen, da man weder Familie noch Schule noch Staat braucht, um ihre Leerstellen auszufüllen. Es genügt viel weniger. Es reicht ein Hauch von Alternative. Zum Beispiel ein zum Scheitern verurteiltes Landhotel.

38
    Unser Webdesigner wird allmählich lästig, weil er von uns endlich wissen will, wie unser Hof heißen soll. Bisher hatte er die Anweisung, als vorläufigen Namen Il Casale einzusetzen. Aber unsere Suche zieht sich nun schon seit Wochen hin, und uns ist noch immer nichts Schlaues eingefallen. Und so überlassen wir es Vito, die Fugen der Kacheln in der Küche mit einer Zahnbürste zu säubern, und nehmen uns noch einmal die Notizen der letzten Brainstorming-Sitzung vor, um endlich zu einem Ergebnis zu kommen.
    »Also, übrig geblieben sind folgende Namen: Il Cantuccio, La Collinetta, Il Rifugio, La Pietraia, I Tre Camini und L’Asinara «, liest Sergio vor.
    Letzteren Vorschlag hatten wir eigentlich verworfen. Sergio hatte wieder einmal provozieren und den Bauernhof in Anspielung auf unseren zweckentfremdeten Keller nach der alten Gefängnisinsel für Mafiosi im Norden Sardiniens benennen wollen. Aber keiner von uns hatte ihm gesagt, dass er den Namen auf die Liste setzen solle. Wir hatten uns lediglich darauf beschränkt, seinen Vorschlag schmunzelnd zur Kenntnis zu nehmen.
    »Wir sollten uns vielleicht doch etwas Passenderes ausdenken«, sage ich.
    Wir beschließen, nach draußen zu gehen und den Tisch und die Stühle über der Giulia aufzustellen. Ein paar Takte Musik könnten unter Umständen inspirierend wirken. Sergio nimmt eine Korbflasche Rotwein und vier Gläser mit hinaus. Der Rasen unter uns bleibt stumm, aber nach ein paar gut koordinierten Sprüngen (wir achten darauf, dass Vito uns nicht sieht) gelingt es uns, das Radio anzustellen. Aus der Erde steigen die Klänge eines Klavierkonzerts zu uns herauf. Möglicherweise ist noch ein anderes Instrument dabei, aber ich vermag den Klang nicht zu erkennen. Dazu bräuchten wir jetzt unseren musikalisch bewanderten Camorrista. Erst wenn man die Instrumente zu unterscheiden weiß und die einzelnen Stimmen heraushört, kann man von sich behaupten, wirklich etwas von Musik zu verstehen. Mein blödes Grinsen hat mich wohl verraten. Ein scharfer Blick von Sergio ruft mich zur Ordnung, und ich konzentriere mich wieder auf die Suche nach einem Namen. Nach der zweiten Runde Wein spüre ich endlich, wie meine Gedanken frei werden. Vielleicht ein wenig zu frei, denn sie schwirren in alle Himmelsrichtungen davon. Den drei anderen scheint es ebenso zu ergehen, denn um sich besser konzentrieren zu können, nehmen sie die abenteuerlichsten Positionen ein: Fausto, die Ellbogen auf dem Tisch, faltet die Hände; Sergio verschränkt die Finger im Nacken und blickt versonnen in den Himmel; Claudio stützt die Stirn auf die Tischplatte und starrt auf seine Schuhe. Zum drittenmal macht die Weinflasche die Runde, zum viertenmal. Sergio stampft mit den Füßen auf, um das Radio, das mittlerweile verstummt ist, wieder in Gang zu setzen.
    Als ein Lächeln über Faustos Gesicht huscht, richten sich hoffnungsvoll unsere Blicke auf

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