Radio Miracoli und andere italienische Wunder
Hallimasch.«
»Der Hallimasch?«
»Da merkt man gleich, dass ihr nie Unkraut gejätet und die verwelkten Blätter entfernt habt. Die Erde unter den Rebstöcken muss immer sauber sein, sonst bleibt das Wasser stehen, und das Wurzelwerk fängt zu schimmeln an.«
»Und woher weißt du das alles?«, fragt Sergio.
»Ich stamme aus einer Bauernfamilie.«
Sergio runzelt die Stirn. »Ich denke, das waren alle Musiker?«
»Väterlicherseits. Mütterlicherseits waren alle Bauern.«
Es wäre interessant, diese Angelegenheit zu vertiefen, aber im Moment liegt mir die Gesundheit unseres Weinberges mehr am Herzen.
»Und was soll ich jetzt machen?«, frage ich.
»Wenn der Befall nicht zu schlimm ist, reicht es, wenn du den Pilz entfernst und die Erde lockerst. Die Sonne macht dann den Rest. Und wenn nicht, musst du spritzen.«
»Und woher weiß ich, ob der Befall groß ist oder nicht?«
Ich musste nicht sehr drängen, um Vito zu überreden, mit nach draußen zu kommen. Vielleicht lag es an dem freundschaftlichen Ton unserer Gespräche in den letzten Tagen, aber ich habe dabei nicht an das Risiko, sondern nur daran gedacht, dass sich der alte Mann ein paar Schritte an der frischen Luft wahrhaftig verdient hatte. Natürlich hat uns Claudio in den glühendsten Farben diverse Horrorszenarien geschildert, doch strenge Bewachung und ein Strohhut auf dem Kopf, der vor neugierigen Blicken schützt, dürften als Vorsichtsmaßnahmen genügen.
Fausto und Sergio nehmen Vito in die Mitte, ich bilde die Vorhut, und Claudio schirmt von hinten ab. Derart eskortiert, schreitet der Alte langsam die Reihen ab und macht sich daran, die Pflanzen zu untersuchen. Als er ein Stück abgeblätterte Rinde aufhebt, fällt mir auf, dass sein Blick zum Haus hinüberschweift.
»Was ist denn da passiert?«, fragt er.
»Wieso passiert?«, erwidere ich.
»So sieht das Haus jetzt also aus? Ist hübsch geworden.«
Er hat recht. Als wir ihn in den Keller sperrten, hatten wir mit der Renovierung noch nicht richtig begonnen. Erst jetzt wird mir bewusst, welche Fortschritte wir seitdem gemacht haben. Vitos Augen schimmern plötzlich feucht, was daran liegen mag, dass er in die grelle Sonne blickt.
»Gute Arbeit«, meint er und rückt den Strohhut zurecht. »Das hätte ich nie gedacht.«
Er bricht die Rinde auseinander und zerbröselt sie zwischen den Fingern. Vielleicht haben wir Glück, meint er, und es reicht, wenn wir die Rebstöcke ordentlich ausputzen.
»Wenn ihr wollt, kann ich das machen«, schlägt er vor.
Wir geben ihm keine Antwort. Sein Vorschlag kommt uns auf einmal sehr verdächtig vor. In dem Moment unterbrechen die Klänge einer Geige und einer Klarinette unser Schweigen. Bevor wir in irgendeiner Weise reagieren können, bleibt Vito stehen, neigt den Kopf, lauscht lächelnd der Musik und bewegt im Takt dazu den Zeigefinger seiner rechten Hand. Er weiß genau, dass die Musik aus seinem Auto kommt, aber inmitten der Weinreben kann er unmöglich bestimmen, wo die Giulia sich befinden könnte.
» Konzert in a-Moll von Michel Blavet«, sagt er.
Jede Passage mit einer Bewegung seines Fingers unterstreichend, sucht Vito unseren Blick.
»Hört ihr das? Hört ihr, wie die Querflöte mit der Geige spricht?«, fragt er.
Also ist es keine Klarinette. Und er hat tatsächlich recht. Es hört sich an wie ein Dialog: Die Flöte beginnt, und die Geige antwortet.
»Wir sollten besser wieder reingehen«, meint Sergio.
Er hakt sich bei dem Alten unter und führt ihn zusammen mit Fausto zurück zum Haus. Vito lässt sich widerstandslos mitziehen, lauscht aber weiterhin ergriffen der Musik. Schließlich dreht er sich zu mir um.
»Um das Radio auszumachen … ein Schlag auf das Armaturenbrett genügt! Aber nicht zu fest, nur ein kurzer, trockener Klaps.«
»Okay, kurz und trocken«, antworte ich.
Die allabendliche Diskussion verläuft in angespannter Atmosphäre. Tagsüber die ermüdende Arbeit und nachts der Lärm, den Abus Mannschaft veranstaltet – das zehrt an unseren Nerven. Seit einer halben Stunde reden wir nun schon über Vito, ohne nennenswerte Fortschritte zu erzielen. Wir alle haben nur noch ein Interesse: endlich ins Bett zu kommen.
»Ich traue ihm nicht«, erklärt Fausto.
»Ich auch nicht«, meint Claudio.
»Vito ist ein einsamer Mensch, sein Leben ist doch mehr als beschissen. Er bleibt bestimmt lieber hier, als wieder einer von diesen verbrecherischen Handlangern zu werden. Habt ihr gesehen, mit welchem Gesichtsausdruck er das
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